Mir graust es von Tag zu Tag mehr. Wir leben m.E. in schlimmen Zeiten. Egon Bahr mahnte einst gar: Wir leben in Vorkriegszeiten. Seit Jahren warnt Papst Franziskus vor einem „schrittweisen Dritten Weltkrieg“. (Quelle: Domradio.de) Läuft der gar schon? Sind wir bereits mittendrin?
Hetzen in den Krieg
Wieder einmal hetzen uns bestimmte deutsche Politiker und zusätzlich offenbar von allen guten Geistern verlassene Journalisten wie schon einmal vor dem Ersten Weltkrieg unablässig in einen Krieg gegen Russland. Man fasst sich ob so viel Dummheit und so offenbar zutage tretendender Geschichtsvergessenheit samt Bildungsdefiziten an den Kopf. Aus der Geschichte ist augenscheinlich nichts gelernt worden. Lesen diese Kriegshetzer keine Bücher? Beispielsweise empfehle ich Stefan Zweigs Roman „Die Welt von Gestern“. Aber es gibt ja viele Regalmeter weitere augenöffnender Bücher mehr! Darin schwarz auf weiß jede Menge Wissen und aufgeschriebene bittere Erlebnisse und daraus erwachsene Weisheiten! Aber all das – so zumindest hat es den Anschein – sind Perlen, die quasi vor die Säue geworfen sind. Oder täusche ich mich da?
Immer neue Ängste werden geschürt
Es wird mit Angst gearbeitet. Erst die Angst vor einem Virus, dann die Angst vor der Klimakatastrophe und nun die Angst abermals vor dem Russen, der schon bald in Brandenburg und sicher in Kürze am Brandenburger Tor steht.
Wer hier und da der Propaganda nicht auf den Leim geht, berechtigte Fragen stellt und Kritik übt, dem wird – bedroht er das ins Werk gesetzte, aus allen Rohren verbreitete Narrativ in den Augen der Mächtigen allzu stark und hat auch noch eine entsprechende Reichweite – wird versucht auszuschalten. Wir hören von Kontokündigungen, Kanallöschungen bei You Tube und dergleichen gesellschaftlichen Ausgrenzungen mehr. Bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes. Und der Reputation sowieso. Unter bestimmten Umständen wird eine solche Person sogar zum Staatsfeind erklärt.
Den Film „Plötzlich Staatsfeind“ wollte keine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ausstrahlen
Der Filmemachers und Regisseur Imad Karim hat darüber einen sehenswerten, bewegenden Film gemacht. Den Film „Plötzlich Staatsfeind“ hat er mittels eigenem und durch Spenden erhaltenes Geld produziert und veröffentlicht. Trotz Anfrage an mehrere öffentlich-rechtliche Sendeanstalten wollte keiner der Sender diesen Film ausstrahlen. Ich empfehle diesen Film ausdrücklich. Hier lesen Sie gerne mehr darüber.
Dem Roman „Abkehr“ erging es ähnlich wir dem Film
Bereits einige Zeit bevor ich auf den Film von Imad Karim stieß, kam mir der Roman „Abkehr“ von Birk Meinhardt in die Hände. Auch Meinhardt hatte Probleme mit seinem Werk. Er fand keinen Verlag. Sein Buch, beschied man ihm zumeist, fänden man gut, es passe jedoch nicht so recht in die Linie des Verlages. Aha! Nachigall, ick hör dir trapsen.
Aber auch für Meinhardts Buch ergab sich eine Lösung, damit es seinen Weg zu den Lesern finden konnte: Es wurde am 1. Juli 2024 eigens der Verlag Vabanque gegründet, um Abkehr herauszubringen.
Zum Buch informiert der Verlag:
«Erik Werchow findet sich plötzlich inhaftiert, obwohl er nichts getan hat. Nichts? Schreibend erkundet er seinen Weg in die Anstalt hinein, und während er jeden Tag intensiver Persönliches und Politisches notiert und während er lernt, sich im rauhen Gefängnisalltag zu behaupten, wird die Lage im Lande immer dramatischer. Zu seiner Überraschung erlangt er, der Isolierte, draußen Bekanntheit. Menschen beginnen, sich auf ihn zu beziehen. Bald wird er für die Oberen zur ernsten Gefahr … «
Eine Geschichte, so wahr, wie eine Geschichte sein kann, die in naher Zukunft spielt.«
Man fühlt sich Kafkas „Der Prozeß“ erinnert.
Und auf der Buchrückseite lesen wir:
«Niemand kommt ins Gefängnis, nur weil er seine Meinung geäußert hat? Das mag vor ein paar Jahren noch gegolten haben, aber heute? Ich sitze doch. Und ich hab noch nichtmal meine Meinung geäußert. Hab ich nicht, aber man hat es schon als Meinungsäußerung genommen, was ich mit meinem Gesicht gemacht hab, und hat mich deswegen und aus keinem Grund sonst in die hiesige Anstalt verbracht, so war es doch, oder!«
Als erste Rezension zum Buch traf ich auf die von Oskar Lafontaine auf den NachDenkSeiten:
«Meinhardt hatte das Buch vorher Verlagen angeboten. Die fanden es auch gut, aber kamen zu dem Ergebnis, dass es nicht so recht in die Linie des Verlages passe. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass der Held seines Buches, Erik Werchow, sein Alter Ego, vom menschenverachtenden Kapitalismus spricht und von sich behauptet, er rieche jede Propaganda meilenweit gegen den Wind. Weil das so ist, stinkt es ihm in einer Gesellschaft, in der selbsternannte Demokratiewächter alle verfolgen wollen, die den Staat verhöhnen. Ein solch aufmüpfiger Ossi landet im Roman im Gefängnis, und der Held kommentiert das entsprechend:„Niemand kommt ins Gefängnis, nur weil er seine Meinung geäußert hat? Das mag vor ein paar Jahren noch gegolten haben, aber heute? Ich sitze doch.“
Die Ostdeutschen haben gelernt, dass man sich gegen Enteignung wehren muss, und das gilt für Werchow nicht nur, wenn es um Häuser oder Grundstücke geht, sondern auch, wenn einem die eigene Sprache genommen wird: „Viel zu bereitwillig haben wir eure Bezeichnungen sogar für die uns vertrauten Stätten unserer Kindheit und Jugend verwendet, und wer sich wie wir fremde Wörter zur Beschreibung des eigenen Lebens nimmt, der übernimmt, ohne dass er’s recht begreift, fremde Gedanken und ist bald kein bisschen mehr eigen“.
Dieser Ostdeutsche hat wirklich merkwürdige eigene Gedanken und fragt, warum wir die Amis Freunde und Verbündete nennen, „wenn doch ihre Truppen seit Jahrzehnten in andere Länder einfallen, in Länder, die nicht einmal einen kleinen Krieg vom Zaun gebrochen haben? Die Aggressoren sind seit längerem sie, korrekt?“
Wer so unangepasst denkt, kann auch in seinem Beruf nicht zurechtkommen. Der Held des Romans war Angestellter in der Werbeabteilung eines Pharma-Konzerns und hält das nicht lange aus: „Ich konnte nicht länger verdrängen, was geschah. Wir erfanden eine Krankheit, um ein Mittel gegen sie zu verkaufen und auf die Art Kohle zu machen“.
In der Coronakrise gehört er zu den Ungeimpften und liest, dass er ein gefährlicher Sozialschädling ist, der die Gesellschaft in Geiselhaft nimmt. Die gesamte Gesellschaft solle mit dem Finger auf ihn zeigen. Was drückt sich in diesen Schmähungen aus, fragt er. „Niedertracht, Hass, Menschenverachtung, Lust an Unterwerfung, übergehend in den Wunsch nach Vernichtung, mit einem Wort – faschistoides Denken.“
Ein Ostdeutscher, der faschistoides Denken entlarvt, wo doch fast jeder dritte Ostdeutsche AfD wählt, wie kann man das zusammenbringen? Ganz einfach, indem man begreift, in welchem Umfang das faschistoide Denken nicht nur bei einschlägig bekannten Rechtsextremen, sondern längst in der selbsternannten demokratischen Mitte angekommen ist. Dieser lesenswerte Roman zeigt, wohin sich unsere instabile Gesellschaft entwickeln kann und ist eine Fundgrube für alle Unangepassten, die das eigene Denken noch nicht verlernt haben.«
Quelle: Oskar Lafontaine auf den NachDenkSeiten
Spannend und fesselnd ist der Roman, aber auch alarmierend
Kurzerhand bestellte ich mir das Buch vor fast einem Jahr. Und las es mit großem Interesse. Es packte mich. Spannend! Fesselnd! Und alarmierte mich. Trotzdem die mir darin behandelte Thematik nichts Neues war. Wie schrieb ich doch eingangs den Buches: Wir leben m.E. in schlimmen Zeiten. Und zwar in vielfacher Hinsicht. Und es wird meiner Meinung nach immer noch schlimmer.
Muss man inzwischen einen Bademantel parat haben?
So mancher getraut sich inzwischen seine Meinung nicht mehr offen zu sagen. Und wer es dennoch tut, dem wird nicht selten scherzhaft entgegnet: „Ich hoffe, du hast einen Bademantel parat!“ Aber zum Lachen ist einem nicht so recht zumute. Den die Sache mit dem Bademantel hat einem ernsten Grund. Denn das Bundesinnenminsterium (BMI), Innenministerin Nancy höchstselbst, hatte am 16. Juli 2024 den angeblich rechtsextremistischen Verein „COMPACT-Magazin GmbH“ nebst seiner Teilorganisation „CONSPECT FILM GmbH“ verboten. Nebenbei bemerkt handelt es sich gar nicht um einen Verein.
Ein Skandal: Ein journalistisches Medium wurde verboten! Das BMI erklärt auf seiner Seite später: „Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ist am 14. August 2024 dem Antrag der „COMPACT-Magazin GmbH“ gefolgt und hat die aufschiebende Wirkung der Klage des Vereins gegen sein Vereinsverbot bis zur Entscheidung in der Hauptsache wiederhergestellt.“
Im Morgengrauen war damals COMPACT-Chefredakteur Jürgen Elsässer von vermummten Polizisten herausgeklingelt worden. Er öffnete im Bademantel. Inzwischen lässt das COMPACT-Magazin diesen Bademantel nachschneidern. Er kann dann von Interessenten erworben werden, die bei einer möglichen Razzia entsprechend angezogen sein wollen.
Meinhardts Roman geht gesellschaftlichen Fehlentwicklungen nach
Meinhardts Roman spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen und Fehlentwicklungen seit dem Ende der DDR von 1989 und der sogenannten Wiedervereinigung Deutschlands. Nebenbei: Der Journalist Ralph T. Niemeyer spricht (vielleicht treffender und ehrlicher?) von einer der „Niedervereinigung“. Dazu u.a. hier erwähnt.
Die Handlung des Buches ist in der Zukunft angelegt. Ein dystopischer Roman. Doch Leser, die wach durchs Leben gehen, bemerken mit vielleicht mit steigendem Unbehagen: Eine Dystopie, welche durchaus inzwischen nahe am Heute ist. Meinhardt erzählt die Geschichte eines einstigen Werbemaklers und Trauerredners, der aufgrund seiner Betätigung in einem literarischen Zirkel und von öffentlichen Auftritten mit einer Gesichtsmaske ins Visier der Polizei und bald darauf in Untersuchungshaft gerät.
Ich empfehle heute – etwas verspätet – den Roman „Abkehr“. Es lohnt sich ihn zu lesen, versprochen.
Abkehr
Herausgeber : Vabanque Verlag (5. August 2024)
22,00€
Über den Autor und weitere Mitwirkende
Birk Meinhardt, geboren 1959 in Berlin-Pankow. Nach dem Mauerfall Reporter bei der „Süddeutschen Zeitung“. Erhielt zweimal den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Seit 2012 Schriftsteller. Sein Roman „Brüder und Schwestern“ (Hanser, 2013) war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, sein Erfahrungsbericht „Wie ich meine Zeitung verlor“ (Das Neue Berlin, 2020) wurde zum Bestseller. Letzte Veröffentlichung: „Mein Bornholm“ (mare, 2022).
Hintangesetzt und zur Lektüre empfohlen
Abschließend ist es mir ein Bedürfnis noch ein paar andere Buchempfehlungen hintanzusetzen und zur Lektüre empfehlen, die sowohl zum erwähnten Film „Staatsfeind“ von Imad Karim sowie dem Roman „Abkehr“ betreffs einer beängstigenden Entwicklung nahe kommen
«Kritisches Wörterbuch des Bunten Totalitarismus« von Rudolph Bauer (1 – 4)