Ausweisung russischer Journalisten aus Deutschland: Die Bundesregierung legt Russland Behauptungen in den Mund, die es nie geäußert hat, um den sanktionierten Staat mal wieder der Lüge zu bezichtigen. Dabei lügt sie selbst – und deutsche Medien machen mit.
Von Susan Bonath
Große Aufregung herrschte am Mittwoch in den deutschen Medien: Russland hat zwei Auslandskorrespondenten der ARD aus Moskau ausgewiesen. Dass zuvor bekannt geworden war, dass Deutschland zwei russische Journalisten des Senders Perwy Kanal (Erster Kanal) ausgewiesen hat, berichteten sie tatsächlich auch. Aber das sei schließlich etwas völlig anderes. Um Russland dann gleich noch der Lüge zu bezichtigen, erfand die Bundesregierung mal eben eine Behauptung, die aber nie gefallen war.
Fake News vom Auswärtigen Amt
Der Vorfall zeigt, welch absurde Blüten die Kriegspropaganda in Deutschland gegen Russland inzwischen treibt. So verwies beispielsweise Die Zeit auf ein X-Posting des Auswärtigen Amtes und schrieb:
„Die Bundesregierung habe – anders als von Russland behauptet – das Büro des russischen Senders Perwy Kanal in Deutschland „nicht geschlossen“, teilte das Amt auf X mit.“
Somit seien „die russischen Behauptungen falsch“, zitierte das Blatt einen Sprecher der Behörde und fügte an: „Russische Journalisten könnten in Deutschland frei und ungehindert berichten.“ Abgesehen davon, dass das Unfug ist: RT-DE-Journalisten erhalten in Deutschland beispielsweise keinen Presseausweis und bekanntlich ist die Webseite des Senders offiziell gesperrt und den Perwy Kanal-Mitarbeitern wurde die Arbeit unmöglich gemacht. Russland hat gar nicht behauptet, dass die Bundesregierung das Büro geschlossen habe.
Tatsächlich sprach Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, von „deutschen Behörden“, die gegen die beiden Journalisten Iwan Blagoj und Dmitri Wolkow ein „Arbeits- und Aufenthaltsverbot“ verhängt hätten. Und das ist nicht falsch, sondern wahr, wie sogar aus dem Zeit-Bericht hervorgeht und das Auswärtige Amt in Berlin selbst einräumt.
Demnach traf „die zuständige Landesbehörde aufenthaltsrechtliche Entscheidungen“ – also definitiv eine deutsche Behörde, und zwar die in Berlin – die Betroffenen könnten dagegen schließlich Rechtsmittel einlegen. Angesichts der Repressionen gegen und des Verbots von russischen Medien in Deutschland wäre es jedoch naiv, anzunehmen, die beiden Journalisten hätten irgendeine Chance, ihre Ausweisung durch Rechtsmittel zu verhindern.
Bundesregierung lügt selbst
Sacharowa hat also recht: Deutsche Behörden, wie sie sagte, haben Blagoj und Wolkow ausgewiesen. Denklogisch können sie ihr Büro in Deutschland nicht mehr weiter betreiben, wenn sie nicht hier sind. Von einer Büroschließung durch die Bundesregierung war nie die Rede.
Mit anderen Worten: Die Bundesregierung baut einen Strohmann auf, legt also Russlands Sprecherin Sacharowa Aussagen in den Mund, die sie nie geäußert hat, um sie dann der Lüge zu bezichtigen. Tatsächlich aber lügt die Bundesregierung selbst. Das hätte die deutsche Presse eigentlich merken und benennen müssen. Vermutlich hat sie es bemerkt – aber eben nicht benannt und Falsches suggeriert.
So titelt beispielsweise Die Zeit: „Russland weist zwei ARD-Journalisten aus“. Weiter heißt es: Grund dafür sei „die angebliche Schließung“ des Senders Perwy Kanal in Berlin – „Deutschland wies den Vorwurf zurück“. Und schon war das Fake-Narrativ gesetzt: Russland lüge, Deutschland sage die Wahrheit. Das ist ganz klassische Propaganda: Natürlich weiß man, dass viele Leser nur Überschriften lesen.
Diese Irreführung nach gleichem Muster betrieb auch Christian Wagner, Sprecher des Auswärtigen Amtes, auf der Bundespressekonferenz am Mittwoch. Er baute erneut den falschen Strohmann auf: Russland habe von einer Schließung durch die Bundesregierung gesprochen, tatsächlich seien hier die Landesbehörden tätig geworden.
Immerhin, die Bundesregierung hat den Rauswurf der beiden nicht bestritten. Das ist also Fakt, genauso wie die Sperrung des Senders Perwy Kanal in Deutschland, die Wagner ebenso einräumte – von Pressefreiheit in Deutschland also keine Spur. Es ist geradezu peinlich, wie die Bundesregierung versucht, das schönzureden – und zu welchen absurden Lügen sie greift, nur um sie Russland in die Schuhe schieben zu können.
Quelle: RT DE
Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.
Liebe Freundinnen und Freunde, Liebe Aktive der Mieter*innenbewegung, DEN MIETEN AUF DEN DECKEL!
am Donnerstag den 5.12.24 lädt die Bundesregierung zu einem Wohngipfel nach Berlin. Von 15.00 bis 17.30 Uhr sitzt dann die Bauministerin Geywitz mit Spitzenvertreter*innen aus den Verbänden zusammen um sich über die gescheiterte Wohnpolitik auszutauschen.
Wir werden mit Protest vor Ort sein, aber wir brauchen unbedingt Euere Unterstützung!
Nutzen wir gemeinsam diesen Anlass, dass wir Mieter*innen uns lautstark Gehör verschaffen und gemeinsam deutlich machen: Wir brauchen einen Mietenstopp und die Deckelung der Mieten! Wir können nicht mehr warten! So kann und darf es nicht weitergehen. Sorgen wir also dafür, dass am Mietenthema im Bundestagswahlkampf niemand vorbeikommt
Gemeinsam auf den Deckel! Ihr seid gefragt
Stellt Euch am Donnerstag den 5.12. ausgestattet mit Topfdeckeln und Kochlöffeln auf Euerem Balkon, die Straße, auf den Rathausplatz, den Weihnachtsmarkt mit Eurer Hausgemeinschaft, der Familie, euren Kollegf*innen und macht pünktlich um 17.30 Uhr 30 Sekunden ordentlich Lärm!
Vergesst Bitte nicht, Euch dabei zu filmen! Schickt euren Clip dann direkt an mietenstopp.de„>mietenstopp.de“ style=“color: #0000ff; text-decoration: none;“>info@mietenstopp.de“>mietenstopp.de
Wir machen dann daraus eine lautstarkes Zeichen der Mieter*innenbewegung. Schreibt uns auch gerne im Vorfeld, wenn Ihr Euch beteiligt, dann nützen wir das für die Öffentlichkeitsarbeit.
An den Verdi-Landesbezirksvorstand Hamburg (Annelies Krohn) und die Verdi-Landesbezirksleitung Hamburg (Sandra Golschmidt, Ole Borgard)
Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen,
ich bin seit 1974 Gewerkschaftsmitglied und überlege aus der Gewerkschaft Verdi auszutreten. Vielleicht könnt Ihr mich überzeugen, dass das ein falscher Schritt ist. Bitte lest mein Schreiben.
50 Jahre bin ich Gewerkschaftsmitglied, erst in der IG Metall, dann bei Verdi. Ich war Jugendvertreter bei MBB und gewerkschaftlicher Vertrauensmann bei Siemens. Im Frühjahr bekam ich eine goldene Verdi-Nadel an meine Moskauer Adresse geschickt. In dem Begleitschreiben stand etwas von den “wertvollen Erfahrungen” von uns Alt-Mitgliedern. Aber ich vermisse Verdi und die anderen Einzelgewerkschaften des DGB auf der Seite derjenigen, die gegen die “Kriegsertüchtigung” in Deutschland laut und deutlich die Stimme erheben. Wenn die IG Metall 1974 mehr oder weniger offen einen Krieg unterstützt hätte, wäre ich wohl nie in diese Gewerkschaft eingetreten.
Artikel für Gewerkschaftszeitungen
Ich habe in den vergangenen Jahren mehrmals für deutsche Gewerkschaft-Zeitungen Artikel geschrieben, zum Beispiel den hier über eine Schule in Tatarstan: Toleranz wird schon in der Schule gelernt (Bildungsmagazin GEW Bremen). Aber meine Artikel-Angebote an deutsche Gewerkschaftszeitungen wurden zu selten gedruckt, als dass sie ein wichtiger Bestandteil meiner Unterhaltssicherung waren.
Aus Verdi auszutreten fällt mir schwer, weil ich als Jugendvertreter bei Messerschmidt-Bölkow-Blohm in Hamburg Erfahrungen mit Gewerkschaftsausschlüssen machen musste. Zwei meiner Genossen, die wie ich Jugendvertreter waren, wurden 1975 wegen angeblicher Nähe zum “Kommunistischen Bund” ausgeschlossen. Ich wurde verschont. Und nun soll ich freiwillig austreten?
Ukraine-Krieg
Aber vor ein paar Tagen war wieder so ein Moment, wo es in der Magengrube weh tat. Ich las im verdi-Mitgliederrundbrief die Worte des Vorsitzenden Frank Werneke “zur aktuellen politischen Entwicklung” und die klangen nach einer indirekten Unterstützung der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine. Zitat: “Angesichts der aktuellen Bedrohungslage in der Ukraine und der umfangreichen Unterstützung, die Deutschland leistet, wäre es notwendig und auch rechtssicher möglich gewesen, die in unserer Verfassung vorgesehene Notlagenregelung für den Bundeshaushalt zu erklären. Dadurch ist eine höhere Schuldenaufnahme möglich und im Ergebnis ein Bundeshaushalt ohne tiefe Einschnitte und mit mehr Möglichkeiten für Investitionen.”
Als am 2. Mai 2014 das Gewerkschaftshaus in Odessa brannte, schwiegen die deutschen Gewerkschaften. Und jetzt wollen sie “solidarisch mit der Ukraine“ sein? Habt Ihr denn nicht mitbekommen, dass die Ukraine ein gespaltenes Land ist, indem ein großer Teil der Bevölkerung nicht für Nato-Interessen sterben will und indem sich viele Menschen durch das Verbot der russischen Sprache an ukrainischen Schulen und dem Verbot aller ukrainischen Oppositionsparteien diskriminiert fühlen?
Verdi-Berichterstattung über die Ukraine
Die deutschen Gewerkschaften müssten sich eigentlich gegen die in Deutschland grassierende Russophobie stemmen. Aber die Verdi-Mitgliederzeitung „Publik“ macht das Gegenteil. In „Publik“ findet man eingestreute und nicht belegte Behauptungen über Russland, die ich aus russophoben Hetz-Medien, wie der Bild-Zeitung und t-online.de kenne, die aber in einer Gewerkschaftszeitung eigentlich keinen Platz finden dürften.
So heißt es in Publik 5 /2024 S. 16 in einem Bericht über queere Menschen in der Ukraine: „Es kursieren Berichte über von russischen Truppen geführte Listen mit queeren Aktivisten, die verhaftet und verfolgt werden sollen.“
In „Publik“6/2024 wird in einer Reportage über Gewerkschaften in der Ukraine kritiklos ein ukrainischer Gewerkschafter zitiert. Dieser Gewerkschafter behauptet „sogenannte Gewerkschaften in Russland“ würden „auf ihren Kongressen dazu aufrufen, ihre Armee zu unterstützen und Ukrainer zu töten. Das ist ein Alptraum.“
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Warum druckt ihr, um auch die russische Seite darzustellen, nicht auch eine Reportage über die russischen Gewerkschaften, damit nicht ein ukrainischer Gewerkschafter den Verdi-Mitgliedern die russischen Gewerkschaften erklärt, sondern die russischen Gewerkschafter ihre Gewerkschaft selbst erklären? So ein Herangehen entspräche dem Prinzip der fairen Berichterstattung und der Erkenntnis, dass sich die abhängig Beschäftigten zur Durchsetzung ihrer Interessen, international vernetzen müssen.
Einschränkung der Meinungsfreiheit
Ich bedanke mich bei Euch nochmals für den Rechtsbeistand in zwei Arbeitsgerichtsprozessen gegen die Sächsische Zeitung, die mich im Dezember 2013 kündigte. Das war in der Hochphase des Kiewer Maidan, über den ich im Unterschied zu anderen Korrespondenten ohne Begeisterung berichtete. Die Arbeitsgerichtsprozesse verlor ich.
Zahlreiche andere Medien, wie Mittelbayerische Zeitung, Märkische Allgemeine, Nordkurier und Thüringer Allgemeine druckten seit 2014 keine Artikel mehr von mir. Selbst „der Freitag“, für den ich seit 1992 schrieb, kündigte mich im März 2022.
Wo wart Ihr, als ab 2014 zahlreiche Journalisten und Professoren gekündigt wurden, weil sie in der Corona-Chor der Bundesregierung nicht mitsingen wollten oder weil man ihnen vorwarf, sie würden von Russland finanziert oder gesteuert? Ihr habt zu diesen Repressionen geschwiegen.
Erschüttert war ich auch vom Verhalten GEW-Führung in meiner Heimatstadt Hamburg, die 2023 dem „Jour fix/Gewerkschaftslinke“ die weitere kostenlose Nutzung eines Raumes für Versammlungen im gewerkschaftseigenen Curio-Haus untersagte. Begründet wurde dieses Verbot mit der Teilnahme an Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in Hamburg, die „rechtsoffen“ seien.
Ich halte das Vorgehen der GEW-Führung für gewerkschaftsschädigend, denn unter den Gewerkschaftsmitgliedern gibt es zweifellos unterschiedliche Positionen zur Corona-Politik der Bundesregierung. Eine Diskussion über unterschiedliche Positionen muss in einer Gewerkschaft möglich sein, wenn sie nicht zum verlängerten Arm der Bundesregierung werden will.
Ich hoffe auf eine Antwort von Euch.
Mit gewerkschaftlichen Grüßen!
Ulrich Heyden, Moskau, 14. November 2024
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Der Autor:
Ulrich Heyden, Jahrgang 1954, lebt sei 1992 in Moskau, von wo er als akkreditierter Korrespondent für deutschsprachige Medien wie die taz, Deutschlandfunk, Rheinischer Merkur, Die Presse, Sächsische Zeitung und Die Wochenzeitung (Zürich) berichtete. Zwischen 2014 und 2022 verlor er im deutschsprachigen Raum fast alle Kunden. Heute berichtet er für Rubikon, jetzt Manova, Nachdenkseiten, Junge Welt, RT DE und auf einem eigenen YouTube-Kanal. Er ist Mitautor des Buches „Opposition gegen das System Putin“, Autor des Buches „Ein Krieg der Oligarchen. Das Tauziehen um die Ukraine“, Co-Regisseur des Films „Lauffeuer“ über den Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa und Autor der Bücher „Wer hat uns 1945 befreit?“, „Wie Deutschland gespalten wurde“ und „Der längste Krieg in Europa seit 1945“. Weitere Informationen unter www.ulrich-heyden.de.
ich hatte am 14. November einen Brief an die Verdi-Bezirksleitung Hamburg mit Fragen Verdi und der Ukraine-Krieg | Overton Magazin zum Thema „Verdi und der Ukraine-Krieg“ geschickt. Sie haben mir am 19. November im Auftrag des Verdi-Vorsitzenden Frank Werneke geantwortet.
Leider sind Sie in Ihrer Antwort nicht inhaltlich auf meine Fragen zur Ukraine-Berichterstattung in der Verdi-Mitgliederzeitung „Publik“ eingegangen. Stattdessen verweisen sie auf den friedenspolitischen Leitantrag des ver.di-Bundeskongresses vom September 2023.
In diesem Leitantrag stehen gute Sachen, wie etwa die Aussage, dass „der öffentliche Diskurs zum weiteren Umgang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine (…) übermäßig fixiert (ist) auf Waffenlieferungen und militärische Lösungen in Kategorien wie ´Sieg´ oder ´Niederlage´.“
Doch sie, Frau Kornek, heben in Ihrer Antwort an mich eine Stelle im Leitantrag des Bundeskongresses hervor, die meiner Meinung nach nicht zum Frieden führt. Sie schreiben, der Leitantrag stelle fest, „dass eine Unterstützung der angegriffenen Ukraine mit militärischem Material völkerrechtlich zulässig ist und eine Unterstützung der Angegriffenen darstellt, um sich weiter zu verteidigen.“
Kiew militärisch erfolglos
Ich frage Sie, ist es nicht Zeit an der Zeit, dass Verdi einen neuen, eindeutigen Beschluss fasst? Denn nach zweieinhalb Jahren Krieg, ist die Ukraine trotz massiver westlicher Waffenhilfe, Hilfe bei der Satelliten-Aufklärung und der Ausbildung von Soldaten militärisch keinen Schritt weitergekommen. Im Gegenteil, es vergeht kein Tag an dem die russische Armee nicht mindestens eine Ortschaft in der Ukraine erobert.
Immer deutlicher wird, dass die politische Führung der Ukraine das Land in´s Verderben führt und nicht selbstständig handelt, sondern von westlichen Geldgebern in Richtung Eskalation gelenkt wird, um Russland zu schwächen.
Man lockte die Ukraine 2013 mit visafreiem Reiseverkehr. Dass sie nur Verschiebemasse im geopolitischen Ringen mit Russland sein würden, war vielen Ukrainern nicht bewusst. Nun werden ukrainische Soldaten verheizt, als Kanonenfutter gegen Russland.
Für die Unterstützung der Ukraine – nur anders
Auch ich bin für Unterstützung der Ukraine, allerdings nicht in Form von Waffen, sondern in Form einer politischen Forderung an die Regierungen in Kiew, Berlin, Washington und London, den Krieg zu beenden, einen Waffenstillstand zu vereinbaren und mit Verhandlungen zu beginnen, die eine Ende des Massensterbens möglich machen.
Ich wundere mich über die oberflächliche Darstellung des Ukraine-Krieges in den Verdi-Medien. Warum schweigt Verdi zu der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges, zur Ost-Erweiterung der Nato, zur Diskriminierung der russischen Sprache durch die Post-Maidan-Regierung und zu den 14.000 Toten des Krieges im Donbass in den Jahren 2014 bis 2022? Diese Toten starben vorwiegend in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk, nachdem die ukrainische Führung im April 2014 eine „Anti-Terror-Operation“ gegen die nach Autonomie strebenden Gebiete Donezk und Lugansk gestartet hatte und rechtsradikale ukrainische Freiwilligenbataillone und die ukrainische Armee Wohnhäuser in den Volksrepubliken beschossen.
Ich habe die Gebiete Donezk und Lugansk in den Jahren 2014 bis 2022 häufig besucht und über das, was ich dort gesehen und gehört habe, ein Buch geschrieben, „Der längste Krieg in Europa seit 1945“[1]. Ich würde mich sehr freuen, wenn in „Publik“ eine Rezension dieses Buches erscheint.
Stimmen aus Russland „nicht angemessen“?
Sie schreiben, dass die russischen Gewerkschaften „bedauerlicherweise den Überfall Russlands auf die Ukraine unterstützen“, weshalb die russischen Gewerkschaften „aus den internationalen gewerkschaftlichen Dachverbänden suspendiert“ wurden. „Vor diesem Hintergrund halten wir es nicht für angemessen, ihnen innerhalb von ver.di eine publizistische Plattform zu bieten.“
Ich frage Sie, wird Verdi wenigstens alternative Dialog-Foren mit Russen und Russinnen organisieren, oder wollen Sie ganz Russland abschreiben? Ist Russland, das größte Land der Erde, für Verdi nur „der Krieg“ und „Putin“ oder leben da außer Bären auch noch Menschen, gibt es da noch eine Kultur? Wollen Sie in Ihren Publikationen nicht wenigstens deutsche Journalisten aus Russland berichten lassen?
Und nun kommt auch noch John McCain zu Ehren …
Ich wunderte mich. In der Verdi-Mitgliederzeitung „Publik“ (Auflage 1,6 Millionen) konnte in der Ausgabe 6/2024 der Journalist Moritz Gross die zweiseitige Reportage „Wir sind auf der Hut“ über ukrainische Gewerkschaften veröffentlichen. Ausgerechnet Gross, der auch für die „Jungle World“ schreibt jungle.world – Moritz Groß hielt man für geeignet, über die ukrainischen Gewerkschaften zu berichten. Man muss wissen: In „Jungle World“, einer Publikation der „Antideutschen“, sitzen Scharfmacher. Das Blatt kritisiert die Bundesregierung für eine „zu lasche“ Politik gegenüber Russland und dem Iran.
In der Reportage des Journalisten Gross wird lang und breit ausgeführt, für wie schlimm ukrainische Gewerkschaftsfunktionäre die „sogenannten russischen Gewerkschaften“ halten. Die „sogenannten Gewerkschaften in Russland rufen auf ihren Kongressen dazu auf, ihre Armee zu unterstützen und Ukrainer zu töten. Das ist ein Alptraum“, sagt einer der von Gross interviewten Funktionäre.
Der Journalist Gross hätte den interviewten Gewerkschafter auch fragen können, was denn die Losungen der ukrainischen Gewerkschaften in der jetzigen Kriegszeit sind? Aber das unterließ der Journalist, denn die Antwort hätte gezeigt, dass auch der Interviewte kein Friedensengel ist.
Weiter schildert Gross, wie sehr ukrainische Gewerkschafter den inzwischen verstorbenen US-Republikaner John McCain verehren. McCain trat 2013 als Redner auf dem Kiewer Maidan mit anti-russischen Tiraden auf.
Für den Journalisten Gross ist McCain offenbar eine verehrungswürdige Person, denn er zitiert den Hardliner zustimmend. „Der Konservative erkannte bereits kurz nach der russischen Annexion der Krim und Teilen der Ostukraine, dass man Putin genau deshalb ´provozierte, weil man ihm gegenüber Schwäche zeigte.´“ Konterkarrieren solche Sätze nicht alle Verdi-Leitanträge in denen von Friedenspolitik die Rede ist?
Fairer, sorgfältiger Journalismus?
Sie, Frau Kornek, haben geschrieben, „unsere Mitgliederzeitung Publik arbeitet nach den Grundsätzen journalistischer Sorgfalt, die zum Beispiel im Kodex des Deutschen Presserats definiert ist.“ Es widerspricht aber der journalistischen Sorgfalt, wenn man abwertende Äußerungen einer interviewten Person nicht mit einer Stellungnahme der angegriffenen Person oder Institution konfrontiert.
Zeigt man in einem Konflikt nur die eine Seite, nennt man das gemeinhin Propaganda. Stellt man die Positionen beider Seiten dar, entspricht das journalistischer Sorgfalt und Fairness.
Zur Friedenspolitik zu der sich Verdi in ihren Beschlüssen bekennt, gehört eine Berichterstattung, die nicht Propaganda betreibt, sondern beide Seiten in einem Konflikt darstellt, die erklärt, wie es zu dem Konflikt gekommen ist und wie der Konflikt gelöst werden kann. Von solch einem Herangehen sind Journalisten wie Gross meilenweit entfernt.
Zwangsmobilisierung – Zeichen einer Demokratie?
An den Zuständen in Deutschland findet man in Verdi-Publikationen durchaus Kritik. Doch nach kritischen Äußerungen über das politische System in der Ukraine sucht man in Verdi-Publikationen vergeblich. Ist die Ukraine etwa eine Vorzeige-Demokratie?
Doch passt es zu einer Demokratie, wenn die Nachrichten aller ukrainischen Fernsehkanäle von einer Zentral-Redaktion stammen und alle Oppositionsparteien verboten sind?
Präsident Wolodymyr Selenski ist immer noch im Amt ist, obwohl seine reguläre Amtszeit am 20. Mai 2024 endete.[2] Neuwahlen wurden bisher nicht angesetzt.
Aus der Ukraine fliehen täglich Männer, aus Angst zwangsmobilisiert zu werden. Im Westen wurde diese Tatsache lange ignoriert, doch inzwischen ist das Problem so offensichtlich, dass selbst der Korrespondent von „Die Welt“, Christoph Wanner, eingestand[3], er habe diese Methoden, als er noch aus Moskau berichtete, als „russische Propaganda“ abgetan. Seit er in Kiew arbeite, habe er Informationen aus erster Hand und nun sei er der Meinung, dass es diese rüden Methoden der Zwangsrekrutierung tatsächlich gibt.
Zum Schluss frage ich Sie, Frau Kornek: Können in der Ukraine demokratische Zustände herrschen, wenn diejenigen, welche am 2. Mai 2014 das Gewerkschaftshaus in Odessa in Brand gesteckt und damit den Tod von mindestens 42 Menschen verschuldet haben, bis heute nicht vor Gericht gestellt wurden?
Ich habe mich mit den Vorfällen in Odessa intensiv beschäftigt und mit Angehörigen der im Gewerkschaftshaus Umgekommen gesprochen. Zusammen mit Marco Benson von Leftvision war ich Co-Regisseur des im Februar 2015 veröffentlichten Dokumentarfilms „Lauffeuer“[4]. Es war der erste deutschsprachige Film über die Exzesse eines nationalistischen ukrainischen Mobs in Odessa. Ich würde mich sehr freuen, wenn dieser Film in „Publik“ rezensiert wird.
Ulrich Heyden, Jahrgang 1954, lebt sei 1992 in Moskau, von wo er als akkreditierter Korrespondent für deutschsprachige Medien wie die taz, Deutschlandfunk, Rheinischer Merkur, Die Presse, Sächsische Zeitung und Die Wochenzeitung (Zürich) berichtete. Zwischen 2014 und 2022 verlor er im deutschsprachigen Raum fast alle Kunden. Heute berichtet er für Rubikon, jetzt Manova, Nachdenkseiten, Junge Welt, RT DE und auf einem eigenen YouTube-Kanal. Er ist Mitautor des Buches „Opposition gegen das System Putin“, Autor des Buches „Ein Krieg der Oligarchen. Das Tauziehen um die Ukraine“, Co-Regisseur des Films „Lauffeuer“ über den Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa und Autor der Bücher „Wer hat uns 1945 befreit?“, „Wie Deutschland gespalten wurde“ und „Der längste Krieg in Europa seit 1945“. Weitere Informationen unter www.ulrich-heyden.de.
Das Deutschlandticket sollte die Verkehrswende bringen. Doch das wird immer teurer, die Bahn immer unzuverlässiger. Nutzer sollten sich auf Zugausfälle, eine sinnlose App und ahnungslose Bahnangestellte einstellen. Eine kleine Anekdote wirft einen Blick auf das alltägliche Chaos.
Von Susan Bonath
Wo sich Privatiers ungeniert die Taschen vollmachen, während der Staat die „kleinen Leute“ mit Schuldenbremse und Sozialabbau drangsaliert, bleiben Gemeinwohl und Umweltschutz – hehre Versprechen hin oder her – auf der Strecke. So wie immer öfter die Deutsche Bahn: In dem Maße, wie ihre Nutzung immer teurer und für viele unerschwinglicher wird, wird sie maroder und unzuverlässiger.
Teuer, marode, unzuverlässig
Bahnfahren ist in Deutschland mittlerweile ein richtiges Abenteuer. Ankommen oder nicht, ist hier die Frage. Seit ich stolze Besitzerin des sogenannten Deutschlandtickets bin, dessen Monatspreis ab Januar von 49 auf 58 Euro steigen wird, und dieses nun zum Kostenvorteil (und für die Umwelt selbstverständlich) nutzen will, stelle ich mir die Frage regelmäßig – und plane eventuelle Notlösungen zur Sicherheit mit ein.
Ich könnte viele Geschichten über das deutsche Bahndesaster erzählen, zum Beispiel eine von 20 Zentimetern Schnee, die 2018 deutschlandweit den Schienenverkehr nahezu lahm legten und mich in einem kleinen Nest namens Stumsdorf irgendwo bei Halle in Sachsen-Anhalt stranden ließen. Aber ich beschränke mich auf eine ganz aktuelle kleine Anekdote, die völlig genügt, um den Zustand des öffentlichen Bahnverkehrs in Deutschland zu beschreiben.
Vorwärts trotz Spontanausfall
Kürzlich plante ich die Teilnahme an einer Demonstration ganz in meiner Nähe. Ich musste dafür nur schlappe 30 Kilometer bis zur sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt Magdeburg überwinden. Zum Glück gibt es in meiner Kreisstadt einen Bahnhof, von welchem aus jede Stunde ein Zug in diese Richtung fährt, oftmals sogar schneller, als man es mit dem Auto schaffen kann – oder besser gesagt: fahren soll.
Kein großes Ding, ich guckte in die App der Deutschen Bahn, wie man das heutzutage macht. Die zeigte kein Problem an – anders dann die Anzeige direkt am Gleis: Zugausfall. Wegen eines „Notfalls“, ergänzte eine Ansage. Da ich wusste, dass ab und an auch Busse in die Landeshauptstadt fahren, beruhigte ich eine ältere Dame, die unbedingt zu ihrer Tochter wollte. Ich dirigierte sie zum Busbahnhof und sagte: „Wir gucken mal, ob da was fährt.“ Und optimistisch dachte ich: Vorwärts immer, rückwärts nimmer.
Tatsächlich landeten wir vor einem völlig überfüllten Kleinbus ohne Anzeige. „Abellio hat mich angeheuert, ich fahr‘ jetzt mal den Schienenersatzverkehr“, erklärte die Fahrerin. Zum Glück hatten wir gefragt – wir sprangen rein, der Bus fuhr los, und wir kamen sogar an, wenn auch eine halbe Stunde später als geplant. Erstaunlich, dachte ich bei mir. Doch das ist erst der Anfang der Geschichte.
Die Sache mit den Stellwerken
Wann die Züge wieder fahren würden, woran der Ausfall liegt und ob es notfalls für die Rückfahrt auch einen Schienenersatzverkehr gibt, wollte ich von der Fahrerin wissen. Doch Genaues konnte sie nicht sagen. Sie wisse lediglich: „Da ist jemand krank geworden, das Stellwerk ist nicht besetzt“, und verwies auf die Bahn-App. Doch die zeigte immer noch kein Problem an.
Die Geschichte mit den Stellwerken kannte ich schon, da musste ich nicht weiter fragen. Wie mir nämlich ein Lokführer vor einer Weile erklärt hatte, funktioniert jedes davon anders, manche digital, andere noch immer mit vorzeitlichen Relaisschaltungen. Für jedes Stellwerk müssen demnach extra Leute ausgebildet werden. Sie gehören, anders als Abellio freilich, der Deutschen Bahn. Wird also jemand plötzlich krank und keiner der paar Spezialisten für das bestimmte Werk kann spontan einspringen, ist die Strecke tot, dann fährt nichts mehr. Das passiert sehr häufig und überall in Deutschland, wie man aus unzähligen Medienberichten erfährt.
„Abellio ist ja nicht die Deutsche Bahn!“
Zum Glück hatte ich genügend Zeit eingeplant. Mit einem weiteren verunsicherten Schienenersatzverkehr-Fahrgast wollte ich vom Schalter der Bahnauskunft wissen: Wie werden wir am Abend zurück nach Hause kommen? Die Angestellte blickte angestrengt in ihren Computer, zuckte schließlich mit den Schultern. Sie könne nur erkennen, dass da bereits zwei Züge ausgefallen sind. Sie wisse auch nicht, ob Abellio weiter Busse zur Verfügung stellt. „Abellio ist ja nicht die Deutsche Bahn, das kann ich also gar nicht wissen.“
Mit anderen Worten: Die Bahnhöfe samt Auskunft betreibt in Deutschland die Deutsche Bahn AG. Auf den Schienen fahren aber etliche andere private Bahnunternehmen, darunter wie bei uns Abellio. Und weil Abellio nicht die Bahn ist, wie gesagt, weiß man am Auskunftsschalter auf dem Bahnhof auch nicht, was bei Abellio gerade los ist. Das muss wohl irgendetwas mit dem „unsichtbaren Händchen“ des „freien Marktes“ zu tun haben – Planwirtschaft ist ja bekanntlich „böser Sozialismus“, wie es von oben so schön heißt.
Ich blieb gelassen, ging erst mal zu der Demo, das Wetter war gut und sogar die Polizei ganz gut gelaunt. Doch später am Abend am Bahnhof dann die Erkenntnis: Die Züge fahren immer noch nicht. Ich lief erneut zum Auskunftsschalter, da hieß es: „Gucken Sie mal hinten am Busbahnhof, ob da Schienenersatzverkehr fährt.“ Mehr könne sie leider nicht tun für mich, Abellio sei … wir wissen schon … und nicht erreichbar.
Wenn keiner was weiß
Die Busstation am Hinterausgang war eine finstere Einöde. Nur ein Fernbus hielt gerade, Passagiere mit großen Koffern stiegen ein. Die Dörfer werden nämlich an den Wochenenden kaum angefahren. So waren auch die Leuchtanzeigetafeln dunkel. Ein paar verwitterte Fahrpläne, scheinbar wahllos angepappt und sehr schwer noch zu entziffern, führten auch nicht weiter.
Ich war nun wirklich sauer, denn auch die Bahn-App zeigte immer noch nicht mehr an, als dass in den zurückliegenden Stunden die Züge auf meiner Strecke ausgefallen waren. Das wusste ich aber schon. Ich lief zurück zum Schalter: „Ich möchte jetzt bitte wissen, wie ich nach Hause komme!“, sagte ich mit Nachdruck. Plötzlich erschien ein Hoffnungsschimmer am Horizont: In eineinhalb Stunden könnte wieder etwas fahren, frohlockte sie. Und empfahl mir sogar eine Alternativlösung: Sofort, über ein kleines Kaff, von dort aus weiter mit einem sogenannten Linientaxi.
So ein „Linientaxi“ ist bei uns in Sachsen-Anhalt die Vorstufe zum sogenannten „Anrufbus“: Man muss zwei Stunden vorher bei einer Hotline der jeweiligen Busgesellschaft anrufen und das Gefährt bestellen. Doch aus Erfahrung aus der Zeit, als meine Söhne noch keinen Führerschein besaßen, wusste ich: Mal kommen diese Kleinbusse, mal kommen sie nicht. „Linientaxi“ klang auch nicht viel vertrauenswürdiger. Ich bin sozusagen „Anrufbus-geschädigt“ und beschloss, ein wenig durch die Stadt zu schlendern und zu warten.
Action mit der Bahn, Stau auf den Straßen
Immerhin ging die Geschichte schließlich gut aus. Als wäre nichts gewesen, fuhr spät am Abend endlich wieder ein Zug. Ich musste niemanden anrufen und als Chauffeur anheuern. Mein vorsichtshalber für den Fall, dass alle Stränge reißen, weil in der Nacht ohnehin keine Züge in meine Richtung fahren, mitgeführtes Reisezahnputzzeug blieb unbenutzt.
Sicher, ein bisschen Action mit der Bahn in Deutschland hält wohl jung. Aber zu wichtigen Terminen sollte man wohl doch besser ein Auto benutzen – natürlich, sofern man eines besitzt. Aber bitte nicht über verstopfte Straßen und Autobahnen in Deutschland wundern – und entsprechend Zeit einplanen!
Quelle: RT DE
Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.
Noch wichtiger als der Kaffee am Morgen ist mir in diesen Tagen die Klärung der Frage, ob die Ukraine mit vom Westen gelieferten Lenkwaffen in der vorausgegangenen Nacht Russland angegriffen hat. Nach der Demonstration der neuen russischen Hyperschallrakete Oreschnik am Donnerstag bleibt es bisher ruhig. Ich werte das als gutes Zeichen. Zwar hat Frankreichs Außenminister Jean-Noel […]
Mit großem Theater tritt die Ampel von der Bühne. Übeltäter werden verortet, der demokratische Schein mit einem simulierten Zweifrontenkampf nach US-amerikanischem Vorbild gewahrt. In der Spur steht Hardliner Merz, um das Ampel-Werk zu vollenden: Sozialkahlschlag für den Kriegskurs.
Von Susan Bonath
Allein die Nachricht von Trumps Wahlsieg genügte, um die US-Aktien und den US-Dollar auf einen Höhenflug zu schicken. Die Wall Street jubelte, die Reichen wurden wieder etwas reicher. Das Zerplatzen der Ampel am selben Tag und die seither aufgeführte Seifenoper in Berlin tangierte die Börse ungleich weniger.
Warum auch: Längst hängen das Gros des deutschen Kapitals am Gängelband diverser US-Oligarchen und größere politische Entscheidungen an der Befehlskette aus Washington. Bei der vorgezogenen Neuwahl des Deutschen Bundestages geht es freilich nicht nur um Gesichtswahrung der SPD, deren Neoliberalisierungsprozess sie seit Langem von der Arbeiterklasse entrückt hat. Mit CDU-Chef Friedrich (BlackRock) Merz steht zudem ein Kanzlerkandidat für ein beschleunigtes „Weiter so“ am Start: Business as usual in Germany.
Krieg und Sozialabbau: Noch härter mit Merz
Zunehmend erinnert das Politspektakel in Berlin an die US-amerikanischen Schaukämpfe, mit denen Republikaner und Demokraten ihr Publikum unterhalten. Zwei Lager einer imperialistischen Einheitsfront beschimpfen sich ein bisschen, unterscheiden sich politisch aber bestenfalls noch in Nuancen. Was SPD und Grüne mit der FDP in Deutschland nunmehr vorbereitet haben (man kennt das Vorgehen bereits von Hartz IV), soll nun in die Hände der Hardliner, die es zuvor als „Opposition“ mit vorangetrieben haben.
Die Peinlichkeit von Habeck, Baerbock, Scholz, Lindner und Co., also des Ampel-Personals, sorgen schon dafür, dass alles kommt wie von interessierter Kapitalseite erwartet: Hardliner Merz dürfte ab kommendem Jahr den Ampel-Job vollenden: noch tiefer unter die Fittiche der NATO-Führungsmacht USA zu schlüpfen, um zu ihren Gunsten als Teil des aggressiven Kriegsbündnisses die stockenden Profitraten wieder anzukurbeln – durch Aufrüstung und Kriegstreiberei, Sozialkahlschlag und: massive Propaganda.
Kaum einer steht für all das so stramm wie Friedrich Merz. Unbehaftet von zwar längst überlebten, aber hartnäckigen Klischees wie „linksgrün“ (Grüne) oder „Arbeiterpartei“ (SPD), kann der notorische Aufstachler zum Armenhass , der in diesem Sinne gerne schon mal selber Fake-News in die Welt setzt, nun demokratisch gewählt von Ampel-Frustrierten den harten „Führer“ gegen Russland geben.
„Bürgerliche Mitte“ als neoliberale Einheitsfront
Merz ist keineswegs die Opposition, als die er sich vermarktet, sondern „Fleisch vom Fleische“ der Einheitsfront fürs Kapital. Die hat sich sogar selber einen Namen gegeben: die sogenannte „bürgerliche Mitte“. Jeder muss dazugehören, der nicht Teil der geächteten Gruppe werden will, die Leitmedien von „liberal“ bis „konservativ“ heute mit Kampfbegriffen wie „Russentrolle“ oder „Wagenknechte“ bedenken.
Eine gute Demokratiesimulation, die nicht als Diktatur des Kapitals erscheinen will, kommt eben ohne politische Sündenböcke nicht aus. Perfekt in diesem Sinne ist es, wenn diese als Blitzableiter wirken und zugleich nicht wirklich schaden. Denn wer wirklich am System zu rütteln gedachte, ist entweder in der Versenkung verschwunden, zur Kleinstgruppe geschrumpft oder von der „bürgerlichen Mitte“ assimiliert. Das traf schon einige: Gewerkschaften, Friedensbewegung und Parteien wie SPD, Grüne und Die Linke.
Das ist kein Wunder: Der Kapitalismus produziert bereits aus sich heraus finanzielle Abhängigkeitsverhältnisse ohne Ende. Wer Geld braucht, passt sich an, wer schon viel hat, kommt nicht von unten. Die Frontlinie gegen den Klassenkampf von oben ist unbesetzt, was bleibt, ist die Konkurrenz aus den eigenen Reihen. Kapitalinteressen sind schließlich nicht homogen. Verkürzt könnte man sagen: Heute stehen auf der großen politischen Bühne National-Konservative gegen Neoliberale und umgekehrt, die beide, wie praktisch, an den Herrschaftsverhältnissen nicht rütteln.
Wacklige Opposition auf NATO-Kurs
Die Konkurrenz, die Chancen auf einen Einzug in den Bundestag bei den Mitte Februar anvisierten Neuwahlen hat, besteht nunmehr aus zwei Parteien: AfD und BSW. Beide positionieren sich als Gegner der Waffenlieferungen in die Ukraine und als Befürworter von Verhandlungen mit Russland. Immerhin, denn „ohne Frieden ist alles nichts“, wie Willy Brandt vor über 40 Jahren einst betonte, als in seiner SPD noch ein paar Sozialdemokraten waren.
Man kann das nur pragmatisch sehen. Die AfD erscheint dabei als Wackelkandidatin: Im Bundestag sprach sie sich für noch mehr Aufrüstung Deutschlands und weniger Kontrolle der Rüstungsexporte aus.
Die Wehrpflicht will sie wie die CDU und große Teile der Ex-Ampel so schnell wie möglich wiederbeleben. Auch stimmte sie der NATO-Osterweiterung in Richtung Schweden und Finnland zu.
Sie forderte zudem mehr Waffenlieferungen nach Israel und votierte für die Bundestagsresolution „gegen Antisemitismus“, die allerdings vor allem dazu dient, Kritik an Israel politisch zu verfolgen.
Dass die AfD weitgehend auf NATO-Linie ist, belegt auch ihr Parteiprogramm. Mit Deutschlands Mitgliedschaft in diesem imperialistischen Militärbündnis des Westens unter US-Führung hat sie demnach kein Problem, würde lediglich die Positionen Deutschlands darin stärken, wenn sie könnte. Das alles, zusammen mit diversen Sozialabbau-Fantasien, stimmt bestens mit dem politischen Kurs der „Mitte-Parteien“ überein. Man kann nun sagen: Immerhin, sie möchte zumindest keine Waffen mehr in Richtung Ukraine exportieren.
Wiederbelebte Sozialdemokratie gegen Krieg
Um von der Propagandafront des neoliberalen, also rechten Parteienklüngels als ultrarechtes Übel dargestellt zu werden, ist das bereits genug. Man kennt das nun seit Jahren. Doch längst hat die AfD hier Konkurrenz bekommen, die sie als Oberbösewicht zu überholen droht, vielleicht sogar schon überholt hat: das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), weniger auf NATO-Kurs als die AfD, dazu ein bisschen sozialdemokratische Sozialpolitik im Gepäck.
Nichts lassen die Leitmedien unversucht, um die BSW-Namensgeberin Sahra Wagenknecht zu diskreditieren. Jüngst sorgte beispielsweise ein Foto für Wirbel, das sie laut Münchner Merkur mit „der Tochter von Putins Ziehvater“ zeigt.Blöderweise sprang die neue Partei über dieses Stöckchen und rechtfertigte sich auf der Plattform X: „Was für ein Quatsch“, schrieb das BSW. Das sei nur ein zufälliges Selfie gewesen.
Mit einer Seifenoper „in den Merz“
Solange die Reste-Ampel noch aushalten muss, wird die Seifenoper weitergehen, auch um die Illusion einer „demokratischen Richtungsentscheidung“ durch die Neuwahl nicht zu gefährden. SPD und Grüne können nun nach Lust und Laune noch ein paar Gesetzesentwürfe einbringen, ohne eine Umsetzung befürchten zu müssen – was sie früher der FDP in die Schuhe schieben konnten.
Die Medien werden zur Publikumsbelustigung diverse Schandhüte verteilen, mal diese, mal jene Person als Übeltäter verorten und „gescheiterte Beziehungen“ aufarbeiten: zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und FDP-Ex-Finanzminister Christian Lindner, Wirtschaftsminister Habeck und Lindner und so weiter. Und noch darf sich Letzterer sogar „etwas cooler als Merz“ finden.
Klar ist schon jetzt: Mit dem Abtritt der Ampel wird die durch Sozialabbau finanzierte Kriegspolitik nicht enden. Eher darf befürchtet werden, dass sich der Mainstream konsolidiert und ein neues Kapitel aufschlägt: Was kürzlich Noch-Außenministerin Annalena Baerbock als „Moment der Zwischenphase, auf den Putin immer gewartet hat“ bezeichnete, wird wohl eher zur politischen Stoßlücke für Rüstungskonzerne werden.
Quelle: RT DE
Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.
Der Text thematisiert die wirtschaftlichen und politischen Folgen der Sanktionen für den Westen und die Auswirkungen des ukrainischen Nationalismus auf die europäische Idee. Der Autor warnt, dass Europa und die USA ihre Kontrolle verlieren und der Ukrainekrieg das Gesicht Europas langfristig verändern wird.
Die Gehälter deutscher Manager sind wieder einmal kräftig angestiegen. Obwohl die Masse der Bevölkerung unter Wirtschaftskrise, Inflation und Reallohnverlust leidet, kassierte das Spitzenpersonal der DAX-Konzerne 2023 so viel wie nie zuvor. Leistung spielte dabei keine Rolle.
Von Susan Bonath
Wirtschaftskrise, Teuerung, Jobabbau, Lohn- und Sozialkürzungen machen der deutschen Normalbevölkerung zu schaffen. Die Masse wird ärmer, ihr Leben unsicherer. Sie soll, so tönt es penetrant von „oben“, den Gürtel immer enger schnallen. Das Spitzenpersonal des deutschen Kapitals betrifft das aber nicht. Im Gegenteil: Die Manager der Dax-Konzerne strichen zuletzt so viel Geld ein wie nie zuvor.
Millionengehälter auch ohne Leistung
Wie das Beratungsunternehmen EY in dieser Woche mitteilte, stiegen die Vergütungen des Spitzenpersonals der deutschen DAX-Konzerne um rund elf Prozent auf durchschnittlich 2,65 Millionen Euro Jahresgehalt. Vorstandschefs kassierten sogar 16 Prozent mehr als im Vorjahr, im Schnitt 3,7 Millionen Euro. Geschäftsführer kamen sogar auf rund 5,7 Millionen Euro.
EY hatte die Gehälter in den Chefetagen der Unternehmen im deutschen Aktienindex DAX (40 Großkonzere), im MDax (rund 50 mittelgroße Konzerne) und SDax (zirka 70 kleinere Unternehmen) ermittelt und staunte offensichtlich selbst über den deutlichen Anstieg. „Die sehr positive Gehaltsentwicklung vieler Vorstände im vergangenen Jahr mag auf den ersten Blick erstaunen, da die DAX-Unternehmen insgesamt eher stagnierende Umsätze und Gewinne verzeichneten“, sagte Jens Massmann von EY.
Marketing mit Moralin
Das Wörtchen „Krise“ vermeidet der Großkapitalberater dabei so geflissentlich, wie das Benennen der Vermögenszuwächse bei den Eigentümern der Konzerne. Stattdessen betreibt er Marketing mit bekannten, inhaltsleeren Moralsprüchen, zum Beispiel aus der Rubrik bürgerlicher „Feminismus“: Frauen in Chefetagen verdienten demnach sogar etwas mehr als Männer – auch wenn sie weitaus weniger vertreten sind und ihre Gehälter von 2022 zu 2023 weit weniger stiegen als die der männlichen Mehrheit.
Um Leistung, die Politiker von Lohnabhängigen beständig fordern, geht es dabei offenkundig nicht. Laut EY müsse „eine schwache Entwicklung bei Umsatz, Gewinn- oder Aktienkurs“ – manche nennen es Deindustrialisierung Deutschlands – „nicht zwangsläufig zu Gehaltsrückgängen in der Vorstandsetage führen“. „Temporäre Einbußen“ ließen sich leider nicht vermeiden, heißt es weiter. Und: Für ein sattes Gehaltsplus genügt es demnach, sehr miese Prognosen mit etwas weniger miesen Ergebnissen zu begegnen.
Die Leistung der hochbezahlten Topmanager bestand im Ganzen dann auch vor allem darin, Deutschland zum Schlusslicht beim Wachstum der Wirtschaftsleistung und bei der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu machen. Erst kürzlich senkte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Wachstumsprognose auf Null. Auch die sogenannten „Wirtschaftsweisen“ bliesen in dieser Woche entsprechend Trübsal.
Lohnverlust und Sozialabbau für die Massen
Von Lohnzuwächsen von elf oder 16 Prozent können deutsche Normalverdiener derweil nur träumen. Die letzten Jahre bedeuteten für sie massive Reallohnverluste, die auch einige neuere Tarifabschlüsse, etwa in der Metallindustrie, nicht kompensieren konnten. Wie die Hans-Böckler-Stiftung ermittelte , büßten Arbeitnehmer in der ganzen Europäischen Union (EU) vergangenes Jahr erneut an Kaufkraft ein.
Insgesamt wird die Lage der Lohnabhängigen in Deutschland immer prekärer. Während die Industrie abwandert und Arbeitsplätze abbaut, hat die inzwischen zerfallene Ampel das soziale Auffangnetz für Rausgefallene zuletzt wieder massiv ausgedünnt. So sollen etwa Bürgergeldbezieher trotz anhaltend hoher Preise für Energie und Lebensmittel 2025 eine Nullrunde in Kauf nehmen.
Wer als Arbeitsloser ungehorsam oder und nicht bereit ist, jeden Dumpingjob anzunehmen, den dürfen Jobcenter schon jetzt wieder härter sanktionieren, in bestimmten Fällen – womöglich verfassungswidrig – auch auf Null. Mit Friedrich Merz als wahrscheinlich neuem CDU-Kanzler droht Betroffenen noch Schlimmeres.
Milliarden für den Krieg, Maulkorb fürs Volk
Das Ausdünnen des sozialen Netzes ist fester Bestandteil neoliberaler Politik. Das Ziel dahinter ist es nicht zuletzt, allen Lohnabhängigen im unteren und mittleren Einkommensbereich einen Maulkorb zu verpassen. Wenn nach einer Kündigung der soziale Totalabsturz droht, werden Beschäftigte sich dreimal überlegen, ob sie gegen miserable Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne aufbegehren. Das Volk muss schließlich klein gehalten werden.
Anders als die Rüstungsindustrie: Kurz vor ihrem Abgang will die Resteampel unter dem Beifall der Unionsparteien CDU und CSU noch einmal kräftig neue Schulden aufnehmen: Ein zweites Sondervermögen von bis zu 200 Milliarden Euro soll in den Militärhaushalt gepumpt werden und am Ende auf den Konten der Rüstungsindustrie landen.
Derweil schröpft sie den Sozialstaat nicht nur beim Bürgergeld, sondern an allen Ecken und Enden. Betroffen sind Einrichtungen für Kinder, Jugendliche und Senioren, das Gesundheitswesen, die Pflege, die Sozialberatung, die Obdachlosenhilfe – eigentlich fast alles.
NRW: Zehntausende gegen Sozialabbau
Im nordrhein-westfälischen Düsseldorf sorgten entsprechende Kürzungspläne immerhin für Protest in einer Größenordnung, wie es sie schon lange nicht mehr gab. Am 14. November demonstrierten mehr als 30.000 Menschen in Düsseldorf gegen Sozialabbau. Sie waren einem Aufruf von Sozialverbänden und Gewerkschaften gefolgt.
Man könne „soziale Sicherheit nicht an- und ausknipsen wie eine Ampel“, sagte die NRW-Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gegenüber der Berliner Zeitung junge Welt. Der Sozialverband VdK in Deutschlands größtem Bundesland warnt dazu in einer Mitteilung vor „dramatischen Folgen der anvisierten Haushaltskürzungen“.
Umverteilung läuft
Diese Plagen der Normalbevölkerung kümmern die DAX-Konzernvorstände vermutlich ähnlich wenig wie führende Politiker. Der Inflation, der Wirtschaftskrise und allem Klagen und Jammern (etwa gegen Forderungen nach einer Vermögenssteuer) zum Trotz: Den Superreichen in Deutschland und ihrem Spitzenpersonal geht es anscheinend prächtig:
Die Umverteilung von unten nach oben läuft demnach bestens. Während die Bild in Dauerschleife gegen Bürgergeldbezieher hetzt und kranke Arbeitnehmer schon mal zu Faulenzern erklärt, knallen in den höchsten Konzernetagen wohl wieder die Champagnerkorken.
Anstoßen werden die CEOs, Vorstände und Aufsichtsräte vermutlich auch auf einen ihrer besten Lobbyisten: Friedrich Merz. Der wird die Superreichen ganz sicher nicht im Stich lassen – und übt sich derweil schon mal in der Kanzlerpose.
Quelle: RT DE
Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.
Kürzlich stellte ich hier die im pad-Verlag erschienene interessante Broschüre «Covid-19 und die Pandemie als Amoklauf des Finanzkapitals« von Fabio Vighi vor. Nun folgt – wiederum als Leseempfehlung – eine weitere Broschüre mit Texten von Vighi mit dem Titel «Notfallkapitalismus. Texte zur politischen Ökonomie des in Agonie befindlichen „senilen Kapitalismus“«.
Wiederum hochinteressant! Wir dürften uns bei genauerem Nachdenken bewusst sein (auch der Kognitionswissenschaftler Rainer Mausfeld hat das angemerkt), dass der Kapitalismus letztlich nicht mit einer wirklichen Demokratie vereinbar ist. Dennoch hat der Kapitalismus bis heute überlebt. Denn er sorgt nicht nur für Ungerechtigkeiten und Krisen, sondern ist immer wieder auch innovativ. Was ihn in die Lage versetzt, sich immer wieder neu zu erfinden und somit zu überleben. Nicht selten wurde sein kommende Ende vorhergesagt. Doch bekannterweise (über-)leben Totgesagte immer wieder.
Allerdings häufen sich die Krisen des Kapitalismus bedenklich. Der Raubtierkapitalismus, der immer rücksichtsloser agierende Neoliberalismus (besser: Marktradikalismus) hat – nach dem Fall des missglückten Sozialismus – alles nur noch schlimmer gemacht. Frisst sich das System zunehmend selber, steht es vor einer Implosion? Finanzexperten wie Ernst Wolff warnen seit Jahren davor.
Der Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner hat zur Broschüre ein interessantes Vorwort geschrieben:
«Das globale historische „Großereignis“ der Corona-Pandemie 2020-2022 befindet sich international in einer notwendigen kritischen Auf- und Nachbereitung. Zu verdächtig waren die Begleitumstände der Pandemie. Die internationale kritische Politische Ökonomie hatte schon seit den 2010er Jahren die zunehmende Labilität, Krisenanfälligkeit, Unhaltbarkeit, den Niedergang und insgesamt eine Unseriosität des ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses des neoliberalen finanzialisierten Kapitalismus (NFK) aufgezeigt.
Die Analysen zeigten schon in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre, und vor allem 2019, kurz vor der offiziellen Wahrnehmung der Pandemie, dass eine weitere, diesmal wohl massivere realökonomische Stagnation und Krise ins Haus stand und mit ihr, nach 2007/8 ff., eine weitere, größere und fundamentalere Finanzkrise. Es war klar geworden, dass die Schneeball-, Blasen- und „Ponzi“-Mechanismen der Derivate-Pyramiden des de-regulierten, enthemmten und explodierenden Spekulationssektors, der inzwischen nur noch aus sich heraus und für sich selbst existierte und arbeitete, selbst mit den jährlich real produzierten Werten der Erde (dem Weltsozialprodukt) und mit der laufenden Ausbeutung („Verwertung“) der vorhandenen realen Vermögensbestände („Assets“: öffentliches Vermögen und Infrastrukturen, Immobilien, industrielle Firmenwerte, Arbeitskraftwerte, Wasserressourcen und der gesamten Natur sowie am Ende der Atemluft) nicht mehr so viel an Mehrwert zu sich selbst hin umverteilen konnten, dass im Durchschnitt noch eine relevante Profitrate auf die die geschätzten 1,5 Billiarden USD der nominalen fiktiven Finanzwerte auf bedrucktem Papier, versehen mit Eigentumstiteln und Renditeanspruch, generiert werden konnte.
Die meisten realen Vermögensbestände der Gesellschaft (s.o.) waren ja in den Frühphasen des Neoliberalismus in den 1980er Jahren bereits geplündert worden, die Ressourcen der Welt bereits aufgekauft und große Landflächen in Afrika vereinnahmt. Die Wall Street besaß vor Corona rechnerisch im Durchschnitt Eigentumstitel für zwei, danach bis zu acht Welt-Jahres-Ernten an Weizen. Die Umverteilung auch der Einkommen zu den obersten 1% war „bis Anschlag“ umgesetzt: die Lohnsumme ausgequetscht, Staatshaushalte ausgequetscht und auf Umverteilung nach oben programmiert, die Gewinne der kleinen und mittleren Unternehmen ausgepresst und umverteilt, ebenso wie die Gewinnquote der Industrie zugunsten der Renditen des Spekulationssektors umverteilt worden waren. Die reale Ökonomie, reale Natur und reale Menschen konnten dem Spekulationskapital der kleinen Oligarchen- und Plutokraten-Schicht inzwischen gleichgültig sein.
Aber all das reichte nicht. Nichts konnte mithalten mit der Explosion der nominalen fiktiven Geldkapital-Werte und ihm auch nur „normale“ reale Renditen sichern. Umso mehr wurde das Spekulationskapital der 1 Prozent (1 Promille? 0,1 Promille? …) Motor immer weiter verschärfter Umverteilung, auch zulasten anderer Wohlhabender (kleine Spekulanten, Industriekonzerne als Finanzinvestoren, private Vermögende), die nicht so nah an der Quelle der Entscheidungen saßen und nicht rechtzeitig vor der nächsten Krise ihre Schäfchen durch Umswitchen in Realwerte (Ressourcen) ins Trockene bringen (in reale Sachwerte transformieren) konnten. Das Aufpumpen von Blasen entpuppte sich als ein ultimativer Umverteilungsmechanismus. Die Spekulation hatte die Verschuldungsexplosion als Voraussetzung, bei den Arbeitenden und ihren Haushalten, dem Staat, der kleineren Industrie und dem Gewerbe ohnehin, deren Verarmung mit umso mehr Krediten aufrechterhalten wurde. Aber auch bei den Großbanken und Schattenbanken, den Hedgefonds, Private Equity Firmen usw., die unendliche Kredite aus dem Nichts brauchten, da sie ja ihr Geschäft auch mit der Differenz zwischen Kreditkosten und kurzfristiger spekulativer Anlage machen. Die Zentralbanken waren daher ja unter dem Neoliberalismus exakt dafür umgegründet und oberhalb des politischen Systems gestellt worden, um den Spekulationssektor ständig mit Frischgeld zu versorgen und am Laufen zu halten.
Seit 2008 laufen die Kurven der geopolitischen Versorgung (Quantitative Easing) mit den spekulativen Ankagekurven1:1 parallel. Die staatliche Fiskalpolitik durfte im Neoliberalismus keine Rolle mehr spielen und hatte ihren Umverteilungsitrag nach oben ohnehin schon „bis zum Anschlag“, d.h. auch: bis zur Grenze der offenen politischen Legitimationskrise des Staates und der offenen Bürgerrevolte geleistet.
Kritische Politökonomen, Sozialwissenschaftler und feinfühlig beobachtende ZeitgenossInnen hatten ja bereits von „Nine-Eleven“, also seit 2001, und den unzähligen Widersprüchen des offiziellen Narrativs zum Einsturz des New Yorker World Trade Center gelernt, dass vieles nicht mehr stimmen kann im niedergehenden und um uns herum erkennbar verrottenden neoliberalen Finanzkapitalismus, der sich als eine immer gigantischere Umverteilungsmaschine entpuppte, der die Gesellschaften spaltet und ruiniert, die die „1 Promille“ immer reicher werden und den Armutssektor der Gesellschaft explodieren ließ, die Umweltkatastrophe beschleunigte, Kriege in alle Ecken der Welt trug, wo Länder unbotmäßig wurden, und im Grunde keines der drängenden Menschheitsprobleme mehr lösen konnte.
Die Menschen lernten, Fragen zu stellen und Zweifel anzumelden an „Nine-Eleven“ und darüber hinaus an all dem Genannten sowie an den mit ständigen Schock-Narrativen, angeblichen Bedrohungen, mit Krisen, Chaos und „Notfällen“ aller erdenklichen Arten begründeten, aber erkennbar bereits von langer Hand vorbereiteten Kriegen des hegemonialen Imperiums und seines Trabantensystems, seines „Global War on Terror“. Und sie mussten schmerzhaft lernen, dass ihre Fragen, Zweifel und Suchen zu keinem Zeitpunkt von offizieller Seite ernst genommen wurden. Vielmehr begann dieses System der Austerität, des ökonomischen Niedergangs, der Verarmung und Gesellschafts-Spaltung nach innen, der „einzigen Weltmacht“, der Weltbeherrschung, der Monopolarität und der imperialen Hegemonie, der Aggressivität und der Kriege nach außen, bei verschärfter „Demokratie“- und „Freiheits“- Rhetorik durch ihr zunehmend vereinheitlichtes offizielles Parteienkartell politisch zunehmend mit Unterdrückung, Zensur, „betreutem Denken“ in immer engeren Leitplanken, gesellschaftlicher Meinungsformierung und mit zu einer Hetz-, Kriegs- und Fake-Industrie mutierten OligarchInnen-
Medien die Zweifler und Kritiker mundtot zu machen, für verrückt zu erklären und als „Verschwörungstheoretiker“ und je nach Tagesbedarf als „Rechte“ und „Antisemiten“ abzustempeln, mundtot zu machen, zu ruinieren und abzuservieren.
Dabei hatte es sich im Laufe der Geschichte jeweils im Nachhinein, z.T. nach Jahrzehnten, immer wieder herausgestellt, dass selten eine aufgestellte Verschwörungstheorie so Schlimmes erahnt hatte wie die tatsächlichen Verschwörungen und politisch-staatlichen Verbrechen, die dann typischerweise nach 30 Jahren, wenn regelhaft die staatlichen Archive Dokumente freigeben, ans Tageslicht kamen.
Solche Erfahrungen kulminierten für immer mehr kritisch denkende Menschen dann insbesondere während der Pandemie zu einer zentralen Erfahrung des Skeptizismus, der eigenen Verfolgung und Unterdrückung, der Meinungsunfreiheit und der umfassenden Überschwemmung mit Fakes über die Weltveränderungen von offizieller Seite, gepaart mit einem unseriösem, unsouveränem, unglaubwürdigem, aber umso autoritärerem Auftreten des Staates und seines politischen Führungspersonals.
Man glaubte immer weniger an zufällige Zusammenhänge zwischen den realen Niedergangserscheinungen, zunehmendem Demokratieabbau, wachsendem Autoritarismus, Aggressivität und Kriegen nach außen, einer immer mehr dominierenden Fake-Industrie und dem Aufkommen und politischen Nutzen von sozialpsychologischen und emotionalen Schocks, Chaos, Katastrophen und „Notfällen“. Manche schütteten schon mal in antiautoritärer Überreaktion auch das gesamt Pandemie-Kind oder Klimawandel-Kind mit dem Bade des Skeptizismus und Nihilismus gegenüber allem und jedem aus. Viele konnten nun einfach gar nichts mehr glauben und stellten einfach alles in Frage. Einen Orientierungskompass des realen Lebens war ihnen im politischen Raum abhandengekommen. Nicht zuletzt übrigens, weil ehemalige Linke sich ins System integriert hatten, die Positionen der herrschenden „Eliten“ übernahmen, den Kapitalismus plötzlich gar nicht mehr problematisch fanden, sich wohlig einrichteten in ihren Minister- und Staatssekretären-Sesseln und sich außenpolitisch plötzlich bei den Kriegsreibern „für die Freiheit“ positionierten.
Das System offenbarte insgesamt eine massive Glaubwürdigkeitskrise, die Politik sprach mit ihren zunehmend hohlen Ritualen und Phrasen, dem Closed-Shop ihres Parteienkartells, einer „Herrschaft des Volkes“ (Demos Kratos), die sich im periodischen Kreuzchen machen erschöpft, und mit unrepräsentativen Regierungen, die am Ende nur noch etwa 30% der Wahlberechtigten vertreten, immer mehr Menschen nicht mehr an. Protest breitete sich aus, und die Erkenntnis macht sich breit, dass dieser zerfallende, und daher nach innen und außen umso aggressivere Kapitalismus und sein dequalifiziertes Politpersonal eine Menge zu verbergen haben, und daher Schocks-Chaos, Katastrophen, Notfälle, Tod und Todeskulte als Herrschaftsmechanismen brauchen und jede immanente Krise des Systems zu ihren Gunsten missbrauchen.
Manche schießen auch hier übereifrig über das Ziel hinaus, indem sie vermuteten, „das System“ generiere bewusst und politisch rational und kollektiv geplant jedwede Krise selbst, um die Herrschaft aufrechtzuerhalten. Nicht alles frühere Wissen aber über die endogene, immanente
Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, insbesondere in seiner neoliberalen finanzialisierten Niedergangsstufe muss aber vor dem Hintergrund der gemachten skeptischen machenden Erfahrungen über den Haufen geworfen werden, nicht jede wissenschaftliche Erkenntnis über Viren und Bakterien, über Virologie und Epidemiologie, über Umweltzerstörung und CO2 müssen in falschen und überzogenen Umkehrschlüssen negiert werden. Es ist eben nicht so, dass die Menschheit plötzlich gar nichts mehr weiß.
Naomi Klein hatte bereits Jahre zuvor ausführlich dargelegt, dass dieser Kapitalismus von seinen funktionalen Herrschaftsmechanismen und von seiner antidemokratischen Ersatz-Legitimationsbeschaffung her die Katastrophe, das Chaos, den Schock, oder den Notfall als Herrschaftsmechanismus braucht.
Hier nun setzt Fabio Vighi mit seinen kritischen Texten aus den Corona- und Nach-Corona-Jahren an. Er steht für das oben Gesagte, für die Fortsetzung einer kritischen Politischen Ökonomie, praktischen Philosophie und Systemkritik. Und deren Aktualisierung vor der Hintergrund der Pandemieerfahrungen und der aktuellen Kriegserfahrungen mit diesem System. Er analysiert die finanzkapitalistischen Mechanismen, die Rolle der Zentralbanken, die Politische Ökonomie der allseitigen Überschuldung.
Und er breitet das Thema des neuen äußeren Feindes und des Krieges gegen ihn aus, ein Feind, den das System nach einer kurzen Zwischenzeit der relativen Friedlichkeit aufgrund von Irritation und Neuorientierung in den ersten 1990er Jahren dringend wieder brauchte. Er umspannt Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg und ist aktuell bis ins Frühjahr 2024. Er entwickelt die Idee Naomi Kleins vom Schockstrategie- Kapitalismus weiter und bringt seine Ergebnisse auf den Punkt als „Notfallkapitalismus“ (Emergency Capitalism).
Damit liegt hier auch eine Aufsatzsammlung vor, die nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie, des Krieges und der Kriegs(tauglichkeits)hetze, der dominierenden Einheiz-Fakes und des neuen zensierenden, unterdrückenden, autoritären politischen Systems deutlich skeptischer, fundamentaler skeptisch ist, als man es vor Corona war. Der Gegner kritischer und demokratischer Bewegung ist auch umfassender geworden: Wir sind mit einem „MIMPIK“ konfrontiert, einem Medial-Industriell(-Finanziell)-Militärisch-Politisch-Intellektuellen Komplex. Universitäten und Think Tanks sind voll in globale Konfrontations-, Rüstungs- und Kriegsstrategien integriert, auf Kriegstüchtigkeit umgetrimmt, und die Oligarchenmedien haben die politische Macht übernommen und treiben mit ihrem ihr Militär und Finanzkapital heutzutage Politik und Intellektuelle vor sich her.
Eine ungläubigere Generation kritischer Denker, eine Generation von kritischen Philosophen und Politischen Ökonomen meldet sich hier, die fast nichts mehr glauben kann, fast alles für möglich hält und nur noch wenig Zukunftsoptimismus für den alten Kapitalismus hat. Da hilft nur noch, die Welt in ganzer Breite hereinzuholen und zu sehen, wie schnell sie sich verändert. Und das keineswegs mehr nur noch zum Schlechten.«
Bremen, im August 2024
Wolfram Elsner
Hoch informativ, dieses Vorwort! Damit sind die Leser gut auf Texte vorbereitet. Was auch für Menschen gilt, welche wenig ökonomisch gebildet sind. Viele Leute sind ja auch betreffs der von Wolfram Elsner referierten Fakten kaum oder nicht informiert. Leider versagen ja diesbezüglich auch die meisten unserer Medien. Warum? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Fabio Vighi gibt uns zu bedenken: «Ein globales Wirtschaftssystem, dass sich der Sättigung nähert, kann nicht auf eigenen Füßen stehen. Je mehr der Kapitalismus darauf beharrt, alles zu liquidieren, was sich seinen Gesetzen widersetzt, desto mehr implodiert er. Und je mehr er auch zur Geisel einer perversen Logik wird, die auf der Fantasie eines grausamen Feindes basiert, der bereit ist, uns zu vernichten.
Wie Domenico Losurdo zeigt, wurden die zivilen Errungenschaften der liberalen Ideologie in Symbiose mit den modernen Tragödien der Sklaverei, Deportation und des Völkermords etabliert. Diese Tragödien kehren im teuflischen Projekt der neoliberalen Globalisierung zurück. Das Paradoxon, das den moralischen Antrieb der heutigen „guten Politik“leitet, wurde von Baudrillard perfekt zusammengefasst:
„Wenn Le Pen nicht existierte, müsste er erfunden werden. Er ist es, der uns von der bösen Seite unserer selbst befreit, von der Quintessenz all dessen, was das Schlimmste in uns ist. Dafür ist er verflucht. Aber wehe uns, wenn er verschwindet, denn sein Verschwinden würde unsere rassistischen, sexistischen und nationalistischen Viren (wir haben sie alle) oder einfach die mörderische Negativität des sozialen Seins auslösen.“
Jean-Marie Le Pen ist nicht verschwunden. Er wurde geklont und in ein buntes Karussell von Monstern eingefügt, deren Aufgabe es ist, uns von den realen Prozessen sozioökonomischer Verwüstung abzulenken […]
Wie bei Colonel Kurtz in Apocalypse Now wird das Böse vom Guten hervorgebracht und muss beseitigt werden, um diese peinliche Wahrheit
zu verbergen. In dieser Hinsicht sollte man sich Max Horkheimers unsterbliche
Mahnung vor Augen halten: „Wer nicht bereit ist, über den Kapitalismus zu sprechen, sollte auch über den Faschismus schweigen.
[…] Die totalitäre Ordnung unterscheidet sich von ihrer bürgerlichen Vorgängerin nur dadurch, dass sie ihre Hemmungen verloren hat.“ So wurde uns beispielsweise kürzlich eingeredet, dass Donald Trump für alle Schrecken der Erde verantwortlich ist, von der Sklaverei, auf der die Vereinigten Staaten von Amerika aufgebaut wurden, bis hin zum neuesten ‚apokalyptischen‘ Virus. Es spielt keine Rolle, ob das Imperium des Guten für dasselbe Böse verantwortlich ist, das es dem anderen zuschreibt. Wichtig ist, dass die sanfte Seite unserer Intelligenz nicht gestört wird […]
Weiter schreibt Vighi: «Die industrielle Produktion von Notfällen erfordert wiederum glaubwürdige Akteure auf der globalen Bühne sowie ein Publikum, das bereit ist, sich von zynischer Medienpropaganda schockieren zu lassen.
Der Cashflow in Richtung Aktienmärkte muss weiter steigen, was auch immer dafür nötig ist. Wie ich in meinen früheren Beiträgen zu diesem Thema argumentiert habe, war COVID-19 im Wesentlichen ein beispielloser Versuch, die expansive Kapazität künstlicher Liquidität zu einem kritischen Zeitpunkt in der Geschichte des Kasino-Kapitalismus wiederherzustellen. Ende 2019 drohte der Finanzsektor erneut, rasch illiquide zu werden, da das Monopoly- Geld versiegte – ein vorhersehbares Ereignis, das bereits die Große Finanzkrise ausgelöst hatte. Im Jahr 2019 stand jedoch viel mehr auf dem Spiel als 2008, denn die Geldsucht des Systems hatte ihren Höhepunkt erreicht.
Was sind die Triebkräfte des senilen Kapitalismus? Ich werde fünf davon in keiner bestimmten Reihenfolge auflisten und dann ihre Zusammenhänge erörtern:
1. Schulden. Der einzige Weg in die kapitalistische Zukunft wird weiterhin durch Programme zur Liquiditätsschöpfung geebnet. Geld „aus dem Nichts“ zu schöpfen und es als Kredit in Umlauf zu bringen, ist die elementare geldpolitische Strategie, die unsere Gesellschaften davor bewahrt, in den Abgrund zu stürzen – wie die Comicfigur, die, nachdem sie über den Rand einer Klippe gelaufen ist, in der Luft schwebt, bevor sie die Schwerkraft wahrnimmt. Die Anziehungskraftder Schwerkraft ist jedoch jetzt unwiderstehlich, und der Abstieg hat mit einer heftigen Währungsabwertung begonnen.
2. Blasen. Finanzblasen, die durch billige Kredite aufgeblasen werden und einen wahnhaften Mechanismus der ewigen Bewegung nähren, sind das einzige aussagekräftige Maß für die noch verbleibende Vermögensbildung. Für die Handlanger der „schönen Maschine“ geht es nur noch darum, die Blasen am Platzen zu hindern. Während sich die finanzialisierte Wirtschaft von ihren sozialen Bindungen entfernt, wird die menschliche Existenz zur Sicherheit für den spekulativen Algorithmus.
3. Kontrollierte Zerstörung. Lohndumping und ein Abwärtswettbewerb um immer weniger Arbeitsplätze sind die notwendige Kehrseite des Blasenparadigmas. Damit die spekulativen Märkte fortbestehen können, muss die „Arbeitsgesellschaft“ schrittweise verkleinert werden, da sich die heutigen künstlich aufgeblähten Finanzanlagen und die reale Nachfrage gegenseitig ausschließen. Einfach ausgedrückt: Die Main Street ist eine Belastung für die Wall Street, weshalb sich der Konsumkapitalismus nun in die Verwaltung der kollektiven Verelendung verwandelt.
4. Notfälle. Unsere existenzielle Lage in der Endphase des Bubble-to-Bubble-Kapitalismus ist eine zutiefst terroristische Meta-Notfall-Ideologie, eine Permakrise, die uns von der Wiege bis zur Bahre begleiten muss. In dieser Hinsicht war die Pseudo-Pandemie des Jahres 2020 nur der Eisbrecher. Machen wir uns nichts vor: Eine Welt, die so fanatisch ihre eigene Implosion verteidigt, hat noch viele weitere Schocker für uns auf Lager.
5. Manipulation. Medienpropaganda ist im Zeitalter der digitalen Hypervernetzung eine Selbstverständlichkeit, und so ist es nur natürlich, dass der senile Kapitalismus, der seinen Zusammenbruch spürt, das Beste daraus macht. Hier ist ein hartnäckiges Zusammentreffen von blinder Dummheit und zynischer Berechnung am Werk. Wie George
Orwell schon lange vor dem Internet voraussagte, geht es darum, Lügen zu erzählen und sie gleichzeitig zu glauben: „Der Prozess [der massenmedialen Täuschung] muss bewusst sein, sonst würde er nicht mit ausreichender Präzision durchgeführt werden, aber er muss auch unbewusst sein, sonst würde er ein Gefühl der Falschheit und damit der Schuld mit sich bringen.“
Jean Baudrillard nannte das Ergebnis dieses Prozesses „Hyperrealität“
Während das Bewusstsein für die Massenbetrug langsam erwacht, bevorzugen die meisten Menschen die Vogel-Strauß-Politik: Besser nichts wissen, als das eigene Maß an Leichtgläubigkeit in Frage zu stellen. Und doch hat es wenig Sinn, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Stattdessen ist es von entscheidender Bedeutung, sich daran zu erinnern, dass Virus der unsichtbare Schutzschild war, der eingesetzt wurde, um eine Banken- und Finanzkrise zu vermeiden, die 2008 in den Schatten gestellt hätte, und gleichzeitig eine Notfallstrategie für das koordinierte Management der Massenverarmung einzuleiten – nicht nur in den Randgebieten der kapitalistischen Welt, sondern auch in ihrem Zentrum. Es ist besonders aufschlussreich, dass wir jetzt dazu überredet werden, den wirtschaftlichen freien Fall als Schicksal zu akzeptieren: eine Art mythische Stagflation, die ihren Ursprung in externen und weitgehend unkontrollierbaren Auslösern (Pandemie) […]«
«Die Mainstream-Medien werden uns niemals über die Ursachen einer strukturell insolventen Wirtschaft informieren, aus dem einfachen Grund, dass sie ein Zweig dieses bankrotten Systems sind. Im Gegenteil, sie werden versuchen, uns davon zu überzeugen, woanders hinzuschauen: Pandemien, Kriege, kulturelle Vorurteile, politische Skandale, Naturkatastrophen und so weiter. Die reaktiven Medien können den Niedergang zwar nicht mehr verbergen,aber sie haben gelernt, exogenen Ereignissen die Schuld zu geben. «
«Es ist daher von entscheidender Bedeutung zu erkennen, dass wir vor einem totalen sozioökonomischen Zusammenbruch stehen“, mahnt Vighi. «Diejenigen, die den finanziellen Saftladen antreiben, werden weiterhin Konflikte und Spaltungen aller Art fördern, um den systemischen Zusammenbruch zu verbergen. Jeder Konflikt, ob geopolitisch oder anderweitig, beginnt und endet im „Krisenkapitalismus“. Der Niedergang des Sozialismus in den 1980er Jahren lüftete den Schleier der Maya. Seitdem ist,wie ein Buddhist sagen würde, „Dualität eine Täuschung“: Es gibt nur ein sozioökonomisches Dogma, und es funktioniert nicht mehr. Es ist nun unmöglich, den Konsumkapitalismus am Leben zu erhalten und gleichzeitig die Verschuldung ins Unendliche zu steigern. Der Berg an Schuldscheinen übersteigt bei Weitem das, was wir als Sicherheit besitzen (im Wesentlichen unser Vermögen, unsere Arbeitskraft und unser Leben), während die Fiat-Währungen längst ihre Reise ins Land des Mülls angetreten haben. Das gesamte Bankensystem steht kurz vor dem Zusammenbruch, weshalb es dringend neue inflationäre Liquidität benötigt, um sich über Wasser zu halten. Der „Great Reset“ ist der autoritäre Versuch unserer Eigentümer, auf diese systemische Bedrohung zu reagieren, indem sie die Kontrolle über die Sicherheiten (unser Leben) übernehmen und am Steuer bleiben. Alles andere ist Wahrnehmungsmanagement. Die westlichen Mittelschichten sind Gefangene ihrer Vergangenheit und davon überzeugt, dass der liberaldemokratische Kapitalismus der Nachkriegszeit als Modell der sozialen Organisation nicht nur grundsätzlich gerecht, sondern auch ewig und unbestreitbar ist. Diese optische Täuschung, die bislang (auch bei scharfer Kritik) zu einem fast bedingungslosen Vertrauen in unsere Institutionen geführt hat, ist verständlich:
Die westlichen Mittelschichten sind seit Jahren Gegenstand der liebevollsten Aufmerksamkeiten des Großkapitals, im Kontext einer profitabler Gesellschaftsvertrag, der um Massenlohnarbeit und wachsende Konsumgewohnheiten herum organisiert ist. Mit anderen Worten:
Das Kapital hat eine Arbeitsgesellschaft geformt und gleichzeitig ausgebeutet, die sich am „idealen Standard“ des Arbeiter-Konsumenten orientiert, der vom Traum einer sozialen Aufstiegsmobilität befriedigt wird. […]«
„Die Gefahr einer Katastrophe wird
durch die Gefahr anderer Katastrophen abgewendet“
(T. Adorno)
Die Crux: «Vielleicht ist es ein Zeichen der Zeit, dass selbst die scharfsinnigsten Denker, Historiker und geopolitischen Kommentatoren Schwierigkeiten haben, die existenzielle Natur der Verbindung zwischen unserem schuldenbasierten Wirtschaftssystem und militärischen Eskalationen zu begreifen. Vor allem scheinen sie nicht zu verstehen, warum der überschuldete Westen immer wieder versucht, einen geopolitischen Kampf vom Zaun zu brechen. Dabei ist die Logik dahinter ganz einfach: Die heutigen Notfälle sind keine unabhängigen Variablen, sondern der zerstörerische Modus Operandi der implosiven kapitalistischen Reproduktion.
Das Donnern der Bomben in der Ukraine, in Gaza und im Nahen Osten ist die Opernbegleitung zum tödlichen Tanz von Rezession und Inflation im Zeitalter von QE-Infinity, stagnierenden Einkommen und struktureller Schuldenmonetarisierung. Die unausweichlichen Realitäten der wirtschaftlichen Implosion müssen in der ohrenbetäubenden Kakophonie des Krieges oder der Förderung seiner Bedrohung ertrinken.
Psychopathische Finanzeliten lieben den Geruch von Napalm am Morgen.
Die Maginot-Linie ihres Finanzkasinos steht unter so starkem Druck, dass nur ein kontinuierliches geopolitisches Rauschen die Illusion systemischer Nachhaltigkeit aufrechterhalten kann. [..}«
Die Sackgasse des Notfallkapitalismus zeigt, dass es in der Geschichte der Moderne keine progressive Teleologie gibt, da die Bedingungen für Barbarei regelmäßig wieder auftauchen. Der Kapitalismus als „sozial notwendige Illusion“ bricht aus allen Nähten, und doch hält er sich durch die schiere Kraft der Manipulation und unverfälschte Gewalt. Im Kern dieser Beharrlichkeit liegt auch eine weitere entscheidende Errungenschaft: die fragmentierten und verarmten Arbeiter davon zu überzeugen, dass sie für ihr eigenes Schicksal verantwortlich sind. Sie müssen Verantwortung übernehmen. Sie müssen auch Opfer bringen, indem sie sich anpassen, umschulen, disqualifizieren und neu qualifizieren, während sie von den Medien und der politischen Klasse bevormundet werden.
«Wer gewinnt?«, fragt Fabio Vighi
„Der Westen ist zu einem totalitären Raum geworden
– dem Raum einer selbstverteidigenden Hegemonie,
die sich gegen ihre eigene Schwäche verteidigt.“
(Jean Baudrillard)
Wenn wir also eine einzige moralische Pflicht haben, dann ist es, die neuen Generationen dazu zu erziehen, kritisch über die wahren
Ursachen hinter der gewaltsamen Implosion des Systems nachzudenken. Doch das Kapital scheint einen solchen Schritt schon lange vorhergesehen zu haben, indem es alle Bereiche, einschließlich der Bildung, kolonisiert hat. Die Heranbildung der neuen Generationen zu einer „Kultur“ der narzisstischen Stumpfsinnigkeit und der stolzen Ergebung ist für die Errichtung eines neuen totalitären Regimes, in dem Armut, Gewalt und Manipulation zur Normalität werden, von entscheidender Bedeutung. Die Social-Media-Konglomerate sind ein perfektes Beispiel dafür. Die Sucht nach dem Scroller am Telefon ist beispielsweise per se hypnotisch, unabhängig von den Inhalten, die kurz auf dem Bildschirm erscheinen. Sobald die Augen in der teuflischen Vorrichtung gefangen sind, wird der Geist sofort desensibilisiert und ist nicht mehr in der Lage, ernsthaft kritisch zu denken.«
Knallhart geschilderte Realität. Sind wir noch zu retten? Gute Frage! Sagen wir es so: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Informieren wir uns zuerst und denken wir darüber nach, was zu tun ist. Noch sind wir nicht verloren. Doch, schauen wir uns in der derzeitigen Welt um. Und schauen wir uns die Politiker an. Besonders auch in Deutschland. Darüber hinaus in der EU sind es nicht besser aus. Unvermögen, Kriegslüsternheit allenthalben. Man schlägt die Hände tagtäglich über dem Kopf zusammen. Politikerformate wie De Gaulle, Olof Palme, Willy Brandt, Helmut Schmidt, andere und selbst Helmut Kohl sucht man vergebens. Dabei werden sie hängeringend dringendst gebraucht! Zu lange schauen wir – mit Nietzsche gesagt – bereits in den Abgrund, der längst immer bärbeißiger zurück schaut.
Fazit
Liebe Leserinnen und Leser, ich legen ihnen diese Texte von Fabio Vighi ans Herz. Und empfehlen sie sie gern weiter. Ihr Kaufpreis dürfte für alle Interessierten erschwinglich sein. Greifen Sie zu, bestellen sie – am besten beide der hier erwähnten – Broschüren von Fabio Vighi und rezipieren sie diese. Danach werden sie klüger sein! Und ja: Hinter den meisten im pad-Verlag veröffentlichten Texten stecken kluge und klüger werdende Köpfe. Früher wurden kluge Köpfe immer hinter der FAZ verortet. Längst vorbei …
INHALT der Broschüre:
Vorwort von Prof. Dr. Wolfram Elsner / Prolegeomena zu einem franziskanischen Kapitalismus / Von Covid-19 bis Putin-22: Wer braucht schon Freunde mit solchen Feinden? / Ein System zur Lebenerhaltung / Senile Wirtschaft: Blasenontologie und die Schwerkraft / Willkommen im “Niedrigenergie-Kapitalismus” oder: Proletarier der Welt, tragt Gesichtsmasken / Weihnachtsgeschenkideen? Eine Weihnachtsmann-Rallye, ein Völkermord, ein Sündenbock und die Kritik eines Philosophen / Vertrauen in Institutionen und Kriegsdividende / Unser Interessengebiet: Der Lärm des dauernden Krieges / Der Feind und die libidinöse Ökonomie der Apokalypse / Wer gewinnt? / Über den Autor
Schriftenreihe des Forum Gesellschaft & Politik Redaktion und Übersetzung: Peter Rath-Sangkhakorn
Fabio Vighi ist Professor für Kritische Theorie und Italienisch an der Universität Cardiff/Großbritannien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Ideologiekritik, politische Ökonomie, theoretische Psychoanalyse, Hegel’sche Dialektik und Film. Zu seinen jüngsten Arbeiten gehören Critical Theory and the Crisis of Contemporary Capitalism (Bloomsbury 2015,mit Heiko Feldner) und Crisi di valore: Lacan, Marx e il crepuscolo della società del lavoro (Mimesis 2018), Unworkable: Delusions of an Imploding Civilization(SUNY Press, 2022); Crisi di valore: Lacan, Marx e il crepuscolo della societa‘ del lavoro (Mimesis, 2018); States of Crisis and Post-Capitalist Scenarios (Ashgate, 2014; gemeinsam mit Heiko Feldner und Slavoj Zizek herausgegeben), Critical Theory and Film: Rethinking Idology
In diesem Blog werden montags selbst verfasste Gedichte veröffentlicht und je nach Anlass Gedanken übers Zeitgeschehen festgehalten. Im Ganzen behandelt der Blog Ansichten und Eindrücke über Politik, Gesellschaft, Alltag, Liebe und (Pop-)Kultur. Respekt, Hoffnung, Nachdenklichkeit, Friedensfähigkeit und Menschlichkeit werden diesen Blog kennzeichnen.