„Freies Land! Prinz Chaos, die Thüringer und ein Schloss“ von Florian Kirner. Rezension

Verkündete mir ein Freund aus Bayern (oder auch woanders her) er wolle ein eher mehr als weniger heruntergekommenes Schloss kaufen, ich würde ihm gewiss entgegenschleudern: Ja, bist du deppert, hast du`n Knall? Er recht, wenn dieser Freund nicht gerade eine überaus wohlhabende Person ist!

Die Shop Oberlandla mildert betreffenden Ausruf ab: „Nein, koa Beleidigung. Eher a Ausruf des Erstaunens. Ja guad, der Grund des Staunens muaß ned zwingend a postiver sein, es kann einem auch über d’Lippen kemma, wenn ma erschrocken, verwundert oder überrumpelt is. Wenn’s aber doch positiv gmoant is, dann als Zeichen von Respekt und Anerkennung. Bist du deppert, so lässig kannt i die Eisbachwelle a gern surfen.“

Wie auch immer, ein starkes Stück wäre das schon. Jedenfalls für mich, der ich eher ein vorsichtiger und bisweilen grüblerischer Bedenkenträger bin. Was im Leben wahrlich nicht immer von Vorteil ist.

Aber ein Prinz ist da freilic von anderem Schrot und Korn. Zumal da er sich den Titel Prinz Chaos II. zu eigen gemacht hat. Da musste schon liefern! Und: ein Prinz ohne Schloss ist doch kein Prinz, oder? Und auch über eine Portion Naivität sollte schon verfügen, wer sich ein marodes Schloss auflädt. Die dürfte beim Prinzen durchaus vorhanden sein, ist er doch Künstler und eine der Voraussetzungen für diese.

Begegnung in Dortmund

Prinz Chaos II. ist mir bereits des Längeren ein Begriff. Und zwar als Liedermacher und Kabarettist via You Tube.

Leibhaftig lief er mir einmal in Dortmund anlässlich eines „Aufstehen-AktionsCampus“ über den Weg. Bedauerlicherweise ging die von Dr. Sahra Wagenknecht (damals DIE LINKE) im September 2018 initiierte Bewegung Aufstehen“ – nicht zuletzt aufgrund eigener Fehler – wieder ein.

Vor Ort wechselte ich seinerzeit darüber mit dem Prinzen, mit bürgerlichem Namen Florian Kirner, ein paar Worte. Hier mein damaliger Bericht über das Treffen auf meinem Blog.

Erstlingsroman

Später faszinierte mich Florian Kirners Erstlingsroman „Leichter als Luft“. Meine Rezension dazu finden Sie hier auf meinem Blog.

«I möcht‘ des Schloss ham.«

Deppert oder nicht: Der Prinz hatte nach entsprechender Recherche sozusagen Blut geleckt und wild entschlossen Kontakt zu einer Maklerin betreffs des Erwerbs einer Schlossimmobilie aufgenommen. Bald machte er sich mit der Maklerin auf den Weg ins südthüringische Hildburghausen, resp. Weitersroda, dem Standort des annonciert gewesenen dortigen Schlosses.

Florian Kirner hat einen autobiografischen Roman «Freies Land!« mit dem Untertitel „Prinz Chaos, die Thüringer und ein Schloss“ versehen geschrieben, welcher kürzlich bei Fifty-Fifty erschienen ist. Darin schreibt er:

„Als ich in die Schlosseinfahrt einbog, parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite: ein Leichenwagen. Eine Beerdigung fand statt in jenem kleinen Fachwerkhaus, das mir die Maklerin als die Kirche des Dorfes bezeichnete. Die Bestattung gegenüber sowie das Schmuddelwetter im November 2007 betonten den trostlosen Eindruck, den das Schloss vermittelte, ungemein.
Wir traten durch eine kleine Tür in einen
Turm und wendelten auf einer Sandsteintreppe nach oben. Wir erreichten den Dachstuhl, groß wie eine Kathedrale. Wir durchquerten danach die leeren Zimmer des
zweiten Stocks. Irgendwo klaffte in der
Decke ein großes Loch. Ich verließ Weitersroda durchgefroren, aufgewühlt und völlig plemplem. Am nächsten Tag wählte ich kurz nach zehn Uhr die Nummer der Maklerin
und teilte mit: «I möcht‘ des Schloss ham.«“

Der Autor zu seinem Werk

„Dieses Buch ist ein autobiographischer Roman.
Für seine Figuren gibt es Vorbilder in der Realität, und doch sind die Figuren im Roman und ihre Handlungen fiktiver Natur. Diese Herangehensweise hat womöglich zur Folge, dass sich auch einige Menschen in diesem Buch partout nicht wiederfinden können, die sich darüber sehr gefreut oder sich das gewünscht hätten. Deswegen sei an dieser Stelle meiner tiefen Dankbarkeit all jenen gegenüber Ausdruck verliehen, die mich in schwierigen und schönen Zeiten begleitet haben auf meinem Weg. Ihr seid weder vergessen noch unterschätze ich die alles überragende Bedeutung eurer freundschaftlichen Unterstützung auch nur eine Sekunde.Ich liefere in diesem Buch keine Analysen politischer oder gesellschaftlicher Phänomene. Ich erzähle – ausschließlich aus meiner subjektiven Sicht und ohne Faktizitätsanspruch – den Roman meines Lebens. Der Ich-Erzähler stellt dabei auch nur eine Version aus der Unendlichkeit möglicher Versionen dieses Lebens dar. Wie Max Frisch in seinem Roman «Mein Name sei Gantenbein« formulierte: «Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.«
Allgemein ist es mir ein Anliegen, mit dieser Erzählung einen Beitrag zu allseitigem Verstehen zu leisten. Dieses Buch möge eine Quelle der Versöhnung und der Gemeinsamkeit sein.
Ich widme dieses Buch meiner Mutter Gabi.


Florian Kirner“ aus Zum Geleit (S.7 )

Es wurde also angerichtet. Freunde und Bekannte Kirners schlugen ob dessen Entscheidung die Hände über den Kopf zusammen, andere zeigten ihm wohl den Vogel: Ein marodes Schloss kaufen? Noch dazu in Ostdeutschland! Wo doch dort Neonazis ihr Unwesen treiben – konnte man dermaßen von allen guten Geistern verlassen sein?

Florian Kirner konnte! Trotz allen gewiss gutgemeinten Unkenrufen sprang Prinz Chaos II., als frisch gebackener Schlossherr ins kalte Wasser, beziehungsweise hinter die im südthüringischen bitterkalten Winter marode Schlossmauern, wo man sich den Allerwertesten abfrieren konnte und das Wasser in den Leitungen gefror.

Und die Einheimischen? Einige von ihnen beäugten den bayrischen Eindringling sicherlich zunächst skeptisch, weil sie in dessen Person einen der üblichen arroganten „Besser-Wessis“ vermuteten. Andere wiederum gewannen womöglich der Tatsache etwas Positives ab, dass Kirner sich des verfallenen Schlosses in ihrem Dorf annahm.

Behielten einige der westdeutschen Unken dann doch recht?

Kirner wurde bereits im Jahre 2008 von der örtlichen Naziszene tätlich angegriffen. Kurzerhand verteidigte er sich mit einem japanischen Kampfschwert, einem Mitbringsel aus Japan. Was auch in der Presse Furore machte.

Und beim von Florian Kirner später aus der Taufe gehobenen Paradiesvogelfest 2012 kam es zu rechten Morddrohungen und einem Brandanschlag auf ein Fahrzeug. Kirner erhielt Polizeischutz. Neugierig ob dessen imposanten Stärke befragte Polizeibeamte vermuteten, der Prinz müsse gute Beziehungen nach Oben haben.

Wir staunenden Leser verfolgen mit Seite für Seite wachsendem Interesse den Fortgang der Schlossrestaurierung. Obwohl der Prinz ständig mit Überraschungen – oft der bedenklichen Art – in den Trakten und verschiedenen Zimmern im Schloss konfrontiert wurde, kämpfte er wohl mindestens zweimal mit dem Gedanken das Schlossprojekt dran zugeben. Aber was dann? Eine andere ähnliche Immobilie – vielleicht gar wieder ein Schloss – zu erwerben? Nee, das wäre ja gaga. Im Grunde fühlte er sich in Südthüringen in dörflicher und waldreicher Gegend wohl. Hatte er doch viel Zeit in großen Metropolen verbracht. Er lebte zuvor in Tokio, Köln und Berlin. Und erlebte dort viel. Manchmal zu viel. Aber den ständigen Trubel da und dort wollte er sich nicht mehr antun.

Also behielt er das Schloss und blieb in Weitersroda.

Da galt es sich diversen Problemen und Anforderungen zu stellen.

Eine Bandscheibengeschichte war alles andere als vergnügungsteuerpflichtig. Eine Therapie für die Seele wurde in ebenfalls in Anspruch genommen.

Kirner fand und traf auf interessante Zeitgenossen und wurde auch im Dorf und der Region mehr und mehr anerkannt und angenommen.

Doch alles Gute ist halt nie beisammen.

Also musste sich der Prinz wohl oder übel eben auch mit den „Heinzen“ (so nannte er Typen, die sich gegen ihn stellten und ihn mehr oder weniger piesackten) auseinandersetzen.

Es gelang ihn Fördergelder für die Renovierung und den Erhalt des Schloss zu bekommen. Dennoch floss so manch eigener Euro in die Immobilie. Auch wurden Wohnungen vermietet. Nicht immer nahmen es Mieter mit der rechtzeitigen Mietzahlung ernst.

Nicht selten kam es auch zu freudigen Ereignissen. Man staunt und zieht nach der Lektüre so mancher Seite oft den Hut vor dem Mut und der Entschlossenheit des Prinzen immer weiter zu machen – komme was wolle.

Es ist offenbar tatsächlich so: Wo sich eine Türe schließt, öffnet sich eine andere.

Florian Kirner hat sich bereits in seiner Jugend als schwul geoutet. Damit fanden sich die Leute in Weiterroda ab. Auch damit, dass unter ihnen nun ein gewissermaßen bunter Hund mit Rastazöpfen lebte. Schließlich nannte er sich ja wohl nicht umsonst Prinz Chaos. Er erwarb ein Pferd, lernte reiten und ritt hoch zu Ross durch Wald und über Flur sowie durchs Dorf. Klar! Ein Prinz ohne Pferd ist keiner.

Und ja: In Weitersroda lebte Kirner erstmals in Beziehung mit einer Frau.

Sogar für das Amt des Bürgermeisters in Hildburghausen kandidierte der Prinz. Kirner ging aus Wahl und Stichwahl mit einem respektablen Ergebnis hervor. Aber ein anderer Kandidat war besser.

Gefesselt von Kirners Schreibstil fliegt man als Leser im Nu durch das Buch

Das Buch ist in wundervollem Stil geschrieben. Gefesselt, angefixt sozusagen, fliegt man als Leser im Nu durch das Buch. Und – mir ging es jedenfalls so – macht man sich Gedanken über das eigene Leben. Welche Träume hatte man? Hat man welche verwirklicht? Wie hätte ich da und dort an Kirners statt gehandelt? Da wurde es mir manches Mal traurig zumute, ob verpasster Chancen im eigenen Leben. Aber es ist nun mal so: Verpasstes kann nicht nachgeholt werden. Und oft reicht es halt nur für Luftschlösser.

Prinz Chaos hat aber ein richtiges Schloss. Was mich für ihn sehr freut. Neidisch bin ich nicht gerade drauf. Aber ich bin ja auch kein Prinz. Aber Prinz Chaos rufe ich hoch respektvoll ein donnerndes Chapeau zu.

Historisches Gebäude aus der Region wurde erhalten

Ihm samt diversen Mitstreitern ist es gelungen aus einem schwer sanierungsbedürftigen Schloss ein Kultur- und Gemeinschaftsprojekt zu schaffen und ein historisches Gebäude in der Region zu erhalten, das wohl ansonsten völlig dem Verfall preisgegeben worden wäre.

Ein Lebenswerk!

Alles was es darüber zu erzählen ist, so lesen wir, erzählt Florian Kirner – das unterschreibe ich – „mit Charme und Finesse, wie er ohne Geld zur Rettung eines schwer sanierungsbedürftigen Schlosses in Südthüringen antrat: eine spektakuläre Geschichte über die Integration und Sturheit eines Bayern in Ostdeutschland – vollgestopft mit saukomischen und hochdramatischen Begebenheiten. Ein Buch über Denkmalpflege und Verwaltungslogik, zwischenmenschliche Schönheiten und Abgründe, wilde Schlossfeste, Wandergesellen, Neonazis, Paradiesvögel und die Absurditäten der Corona-Politik im ländlichen Raum. Ein Blick auf die Thüringer Provinz fernab von Wessi-Klischees und ostdeutscher Nostalgie – kurz gesagt: der Bericht von einem, der auszog, in der innerdeutschen Fremde eine Heimat zu finden.“

Was bleibt noch zu sagen: Kaufen, lesen und gerne weiter empfehlen.

Über den Autor und weitere Mitwirkende

Florian Kirner , geb. 1975, ist unter dem Namen Prinz Chaos II. als Liedermacher und Kabarettist bekannt. In Südthüringen entwickelt er seit 2008 ein Kultur- und Gemeinschaftsprojekt auf Schloss Weitersroda . Zuvor hat er an der Universität zu Köln Anglo-Amerikanische Geschichte, Japanologie und Neuere und Mittelalterliche Geschichte studiert, sowie Internationale Beziehungen an der Sophia-Universität Tokio. 2013 verfasste er mit Konstantin Wecker einen „Aufruf zur Revolte“. Als Journalist schrieb er lange für die junge Welt. Er hat das Magazin „Rubikon“ 2017 mit aus der Taufe gehoben.

Freies Land!

Prinz Chaos, die Thüringer und ein Schloss

25,00 €*

Herausgeber ‏ : ‎ Fifty-Fifty; 1. Edition (10. März 2025)

  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 304 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3946778550
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3946778554
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.6 x 3 x 21.4 cm

Anbei ein Gespräch, das der Journalist Norbert Fleischer mit Florian Kirner führte:


„Es ist eine Geschichte, die im 35. Jahr nach der deutschen Wiedervereinigung im Grunde hoffnungsfroh stimmen kann: Ein junger, durchgeknallter Künstler aus dem Westen, beschließt nach seinen Erfahrungen in München, Berlin und Tokio, sich mitten in der ostdeutschen Provinz nieder zu lassen – nimmt einen Kredit auf und kauft sich in Südthüringen ein verfallenes, altes Schloss, in dem Ratten hausen. Die Rede ist von dem in der Region mittlerweile bekannten Musiker und Buchautor Florian Kirner, der in 17 Jahren, als gebürtiger Oberbayer im thüringischen Hildburghausen, nach eigener Aussage eine tiefgreifende Wandlung erfuhr: Vom arroganten „Besser-Wessi“ hin zum geachteten, engagierten Mitglied in der örtlichen Gemeinschaft. Vom wurzel- und ruhelosen „Prinz Chaos“ zu einem etablierten Schlossherrn, der aus eigener Tasche bestimmt eine halbe Million Euro in ein Bauprojekt steckte, an dessen Erfolg er von Anfang an nicht den geringsten Zweifel hegte. Von einem Außenseiter zum überaus beliebten Mitbürger. Vor kurzem hätten die Hildburghausener Einwohner ihn sogar fast noch zum Bürgermeister gewählt. Die spannende Lebensgeschichte des studierten Historikers Florian Kirner erscheint nun in einem autobiografischen Buch, in dem man all das nachlesen kann, wie auch die Story, warum es für einen Westdeutschen kurz nach dem Umzug in den Osten durchaus von Vorteil sein kann, ein japanisches Kampfschwert im Hause zu haben.“ (Norbert Fleischer, Younost)

PS: Das diesjährige Paradiesvogelfest beginnt am 28.Mai 2025.

Kriegsgegner als „antisemitische Gefährder“: Berliner Polizei verbietet Protestzug

Wenn der Westen vom „Krieg gegen den Terror“ spricht, meint er meist Bombenhagel auf Zivilisten. Im Jemen, Libanon und in Palästina ist das Alltag. Auch die deutsche Rüstungsindustrie verdient daran. Und wer dagegen protestiert, dem drohen Repressionen. Berlin hat wieder zugeschlagen.

Von Susan Bonath

Der Westen und seine Verbündeten sonnen sich gern in militärischer Überlegenheit. Im Abwerfen von Bomben auf Araber sind sie besonders erprobt. Viele tote Zivilisten, flächendeckend zerstörte Infrastruktur und gern auch Hunger als Kriegswaffe gibt’s gratis dazu; euphemistisch nennen sie das „Krieg gegen den Terror“. Auch deutsche Waffen sind dabei im Spiel. Wer das jedoch nicht will und Jemeniten, Libanesen und Palästinenser für „richtige Menschen“ mit Rechten hält, gerät in der Bundesrepublik rasch in den Verdacht, ein gefährlicher Antisemit zu sein. Die Berliner Polizei hat darum wieder mal einen Protestzug verboten.

Protestzug verboten

Mehrere Friedensgruppen, darunter die Jemenitische Gemeinschaft in Deutschland, hatten zu einem Protestzug an diesem Samstag in Berlin aufgerufen, um des zehnten Jahrestags des Angriffs auf den Jemen zu gedenken, die aktuellen Angriffe der US-Armee auf das kriegsgeschüttelte verarmte Land zu kritisieren und deutsche Waffenlieferungen in die Region zu verurteilen. Auch die aktuellen israelischen Kriegsverbrechen in Palästina und Libanon stehen auf dem Programm.

Mehrere Kundgebungen unter dem Motto „Jemen, Palästina, Libanon – Frieden im Nahen Osten“ sollten unter anderem vor den Botschaften Saudi-Arabiens, Großbritanniens und der USA stattfinden. „Unser Protestzug von Botschaft zu Botschaft war seit Wochen angemeldet“, erläuterte ein Mitorganisator gegenüber der Autorin. Doch nach „endloser Verschleppung“ ereilte die Anmelder am Donnerstag, also fast in letzter Minute, eine Verbotsverfügung der Berliner Polizei, die RT DE vorliegt.

Absurde Auflagen

Die Polizeibehörde verbietet darin den Aufzug „aus Sicherheitsgründen“ komplett. Sie erlaubt lediglich eine stationäre Kundgebung auf der Straße des 17. Juni am Brandenburger Tor – allerdings mit einer langen Liste von Auflagen, die eigentlich absurde Unterstellungen sind. Verboten sei es demnach beispielsweise, „Fahnen, Puppen oder ähnliche Gegenstände im öffentlichen Raum zu verbrennen“. Wie die Polizei auf die Idee kommt, dass dies angedacht sein könnte, kann sich der Mitorganisator nicht erklären. Die Gruppen veranstalteten jedes Jahr eine solche Kundgebung, aber so etwas sei nie vorgekommen.

Dann wird es schwammig und vage: Verboten sei, so heißt es, Gewalttaten gutzuheißen oder – man ahnt es – „zur Vernichtung des Staats Israel aufzurufen“. Dazu zählt die deutsche Obrigkeit bekanntlich oft genug schon Kritik an der massenhaften Tötung von Palästinensern und der totalen Verwüstung ihrer Heimat. Verboten sei den Demonstranten überdies, für allerlei unliebsame Organisationen zu „werben“, darunter neben Hamas und Hisbollah auch sich links verortende Gruppierungen, wie etwa die palästinensische PFLP oder das internationale Solidaritätsnetzwerk palästinensischer Gefangener Samidoun.

„Massiver Eingriff in die Versammlungsfreiheit“

„Die Veranstalter bewerten diese äußerst fragwürdige Entscheidung der Berliner Versammlungsbehörde nur 47 Stunden vor Beginn und nach mehreren Wochen Bearbeitungszeit für politisch motivierte Diskriminierung und einen massiven Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Versammlungs- und Meinungsfreiheit“, heißt es in einer Stellungnahme der Organisatoren.

In der Tat sind einige Auflagen so vage formuliert, dass bereits das Verkünden des Protesthintergrunds zum Auflösen der Kundgebung führen könnte. Dies ist insbesondere in Berlin ein schon erprobtes Vorgehen, beispielsweise beim Palästina-Kongress im Frühjahr 2024, aber auch zahlreichen Demonstrationen palästinasolidarischer Gruppen.

Kritik an deutschen Rüstungsexporten

Die Organisatoren „verurteilen die massiven Rüstungsexporte an die saudische Kriegskoalition und das rechtsextreme Apartheidregime Israel, mit denen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord nicht nur im Jemen, Palästina und Libanon begangen werden.“ Auch die kommende Bundesregierung unter CDU-Chef Friedrich Merz sei nicht gewillt, dies zu stoppen – im Gegenteil.

Außerdem mutiere Deutschland immer mehr zu einem „totalitären Polizeistaat“, kritisieren sie. Menschenrechts- und Friedensaktivisten liefen zunehmend Gefahr, staatlich verfolgt zu werden. Besonders heftige Repressionen drohten, „wenn es um Proteste gegen den zionistischen Genozid im Gazastreifen und im besetzten Westjordanland geht.“ Sogar die UN-Sonderberichterstatterin für Palästina Francesca Albanese habe mit Redeverbot in Deutschland zu kämpfen.

Überdies kritisieren die Organisatoren die Kriegsrhetorik in vielen deutschen Leitmedien, die sie als „Propaganda und Gehirnwäsche“ bezeichnen. Die wahren Verursacher gegenwärtiger Kriege würden nicht benannt, die dahinter stehenden Interessen westlicher Mächte weitgehend verschwiegen und bestimmte Menschengruppen massiv diskriminiert. Dies betreffe nicht nur Personen mit arabischem Hintergrund, sondern sogar linke Juden, die sich gegen den Massenmord an Palästinensern aussprechen.

Hintergrund

Am 26. März 2015 hatte eine mit den USA, Großbritannien und Frankreich westlich dominierte Kriegsallianz unter „Führung“ von Saudi-Arabien den Jemen angegriffen. Offizielles Ziel war es, in den Bürgerkrieg gegen das korrupte, US-freundliche Regime im Jemen einzugreifen und dieses an der Macht zu halten.

Das arme Land versinkt seither in Elend, Tod und Zerstörung. Dennoch gelang es der Kriegskoalition bis heute nicht, die inzwischen weite Teile des Jemens kontrollierende zaidistisch-schiitische Bewegung „Ansar Allah“ (Huthi) zu besiegen. Stattdessen starben aufgrund umfassend blockierter Hilfslieferungen tausende von Kindern an Unterernährung und eigentlich heilbaren Krankheiten. Offiziell ist überdies von etwa 10.000 zivilen Todesopfern durch direkte Luftschläge die Rede, vermutlich sind es weit mehr.

In den letzten Tagen belebten die USA den teilweise ruhenden Krieg gegen den Jemen erneut mit Flächenbombardements. Sie begründeten dies mit Angriffen der „Huthi“ auf Schiffe, die israelische Häfen anlaufen sollen. Nach eigenen Angaben reagiert die islamische Bewegung damit auf den Völkermord, den Israel nach Ansicht vieler Völkerrechtlicher derzeit im palästinensischen Gazastreifen begeht. Auch mehrere Raketen auf Israel soll die jemenitische Gruppierung abgefeuert haben.

Israel hatte kürzlich die mit der sunnitischen palästinensischen Widerstandsgruppe Hamas geschlossene Waffenruhe einseitig mitten in der Nacht gebrochen. Allein bei der ersten Angriffswelle tötete die israelische Armee IDF etwa 400 Menschen, darunter fast 200 Kinder und Säuglinge.

Den nur 365 Quadratkilometer kleinen Gazastreifen legte die IDF seit dem Hamas-Angriff auf Israel im Oktober 2023 in Schutt und Asche, geschätzt zwei Millionen Menschen sind darin eingeschlossen. Die offizielle Zahl der Todesopfer beträgt inzwischen mehr als 50.000, die der Verletzten ist demnach mehr als doppelt so hoch. Wahrscheinlich liegen die tatsächlichen Opferzahlen weitaus höher.

Es gibt unzählige Belege für grausame Kriegsverbrechen durch Israels Armee, teilweise von Soldaten selbst gefilmt. Dazu gehört die systematische Zerstörung von Krankenhäusern und Schulen und das gezielte Töten von Kindern mit Kopf- und Brustschüssen. Seit über einem Monat hat Israel zudem die Einfuhr von Nahrung, Wasser und Strom gestoppt. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant an Israel.

Quelle: RT DE

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.