Deutschlands Mitte-Extremismus

Wer gehört zur bürgerlichen Mitte? Ein neoliberales Institut spielt wieder Bullshitbingo mit diesem nur scheinbar neutralen Konstrukt. Tatsächlich ist die Mitte ein kreierter Hort für Gehorsame, der sich ideologisch stets neuen politischen Verhältnissen anpasst. Und die werden immer extremer.

Von Susan Bonath

Lohndumping, Sozialabbau und militärische Aufrüstung sind gut für die Rendite ‒ des Kapitalisten Glück ist des Lohnabhängigen Übel. Dieser Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit sollte eigentlich Widerstand hervorrufen. Doch mit viel Propaganda und Einbindung von Gewerkschaften, Sozialverbänden und Parteien gelang es den imperialistischen Akteuren, diesen weitgehend zu brechen. Dazu gehört die Konstruktion einer „bürgerlichen Mitte“, der anzugehören das Ziel jedes braven Bürgers sein müsse.

Doch diese „Mitte“ ist nicht etwa neutral oder gar statisch, wie gern suggeriert wird, sondern schlicht das Synonym für konform. Wer sich gut anpasst, kann es bekanntlich schnell „zu etwas bringen“. Ideologisch geht die Mitte aber stets systemkonform mit der Zeit: Radikalisieren sich die Verhältnisse in Krisenzeiten, tut es die „Mitte“ ebenfalls. Man kann das derzeit live beobachten.

Bullshitbingo für Gehorsame

Die Verortung dieser „Mitte“ ist so vage wie variabel. Wer dazugehören will, sollte einerseits über ein gewisses (Lohn-)Einkommen verfügen, andererseits den ideologischen Rahmen der bürgerlichen „Altparteien“ nicht verlassen. Die Denkvorgaben ändern sich dabei mit den realen Verhältnissen, während über die materielle Eintrittskarte in diese Mitte rege gestritten wird. Pseudowissenschaftliche „Analysen“ sollen dafür sorgen, dass sich viele zugehörig fühlen – und entsprechend ideologisch anpassen.

In diesem Sinne darf ein neuer Bericht des neoliberalen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln betrachtet werden. Der Think-Tank stellt darin die rhetorische Eingangsfrage, wer überhaupt zur Mittelschicht gehöre, und verspricht eine „einkommensbasierte Abgrenzung eines uneinheitlichen Begriffs“ ‒ ein Bullshitbingo für Leute, die sich besser fühlen wollen.

Dieser scheinakademische Unfug erscheint zwar nutzlos, erfüllt aber einen wichtigen Zweck für die Herrschenden: das Erzeugen politischer Konformität in der Masse. Diese soll selbst asozialste Politik mittragen und Unliebsame ausgrenzen: Systemkritiker, Kriegsgegner und Arbeitslose zum Beispiel.

Ganz klassisch teilen die IW-Propagandisten die in der Masse lohnabhängigen Bundesbürger nach ihrem Einkommen ein, um sie dann in verschiedene Kategorien zu sortieren: „relativ Arme“, „untere Mitte“, „Mitte im engeren Sinne“, „obere Mitte“ und „relativ Reiche“. Zu den Zahlen nur so viel: Als „relativ reich“ zählt das IW bereits Alleinstehende ab einem Monatsnetto ab 5.780 Euro. Als „relativ arm“ wertet es jene mit weniger als 1.390 Euro verfügbarem Einkommen.

Einfrieden und ausgrenzen

Auf die wenigen ganz Reichen und die mehr werdenden ganz Armen geht das Institut nicht weiter ein, vermutlich, um seine Zielgruppe nicht zu verunsichern. Über die Konzentration von Milliardenvermögen in wenigen Händen spricht man in neoliberalen Kreisen genauso ungern wie über die wachsende Zahl der Armen. Immerhin leben in Deutschland fast zehn Prozent auf dem Niveau von Grundsicherungsleistungen und fast die Hälfte aller Rentner von weniger als 1.250 Euro monatlich.

Zu dieser unteren, mittleren oder oberen Mittelschicht darf sich demnach wie erwartet die absolute Mehrheit zählen. Das imaginäre Konstrukt einer „Mitte-Gemeinschaft“, die alle Nichtkonformen ausgrenzt, ist kreiert. Dann folgt sogleich die Animation zum Aufstiegskampf in selbiger. So lautet eine scheinbar sehr banale Aussage im Bericht: „Eine Vollzeiterwerbstätigkeit verringert das Armutsrisiko.“

Wer hätte das gedacht, mag man ironisch denken. Doch eigentlich ist das ein Aufruf an die Masse: Sei fleißig, fügsam und erfülle deinen Dienst nach Vorschrift, dann kannst du es vielleicht zu einem guten Gehalt und einigen Befugnissen bringen. Der 1998 verstorbene ostdeutsche Liedermacher Gerhard Gundermann formulierte das einst philosophisch so: Alle wissen, wo es langgeht, aber keiner weiß wohin.

Kritiker disziplinieren, Widerstand minimieren

Das variable Konstrukt der Mitte eignet sich perfekt, um Kritiker zu disziplinieren (im Zweifel markiert man diese wahlweise als rechts- oder linksextrem), Widerstand gegen (vermeintlich alternativlose) politische Schweinereien wie Sozialabbau und Aufrüstung zu minimieren sowie alle für die Interessen der Lohnabhängigen relevanten Organisationen, wie Gewerkschaften, Sozialverbände und (ehemals) linke Parteien, für die politische Durchsetzung von Kapitalinteressen einzubinden.

Das ist freilich ein alter Hut. Schon vor über hundert Jahren ließ sich die einstige Arbeiterpartei SPD ganz willig kaufen. Damals stimmte ihre politische Führung den sogenannten deutschen Kriegskrediten zu, was nicht nur den Ersten Weltkrieg einläutete, sondern auch für Turbulenzen in der Parteibasis sorgte. Seit den 1950er Jahren schwört sie auf das Fantasiegebilde „Sozialpartnerschaft“ zwischen Arbeitern und Bossen.

Auch die Grünen, einst hervorgegangen aus der 68er-Bewegung als Anti-Atom-, Umwelt- und Friedenspartei, haben sich bedenklich rasant in ihr Gegenteil verwandelt. Ihre neuen deutschen Großmachts- und Kriegsfantasien schockieren wahrscheinlich sogar manchen konservativen Kopf.

Dieser bürgerlichen „Mitte“ will auch die Spitze der Linkspartei gefallen. Vor einigen Tagen stimmte sie in landespolitischer Verantwortung für Bremen und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat den sogenannten neuen Kriegskrediten zu, also für den partiellen Wegfall der Schuldenbremse für ein möglicherweise billionenschweres Aufrüstungsprogramm. Dies ganz im Sinne von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU): Sie schwor Europa kürzlich schon auf einen „Großkrieg“ gegen Russland ein.

Politische Gleichschaltung

Eine „Eingemeindung“ in die bürgerliche Mitte erleichtert einen Aufstieg ungemein, für den Einzelnen im Job und für Parteien an den parlamentarischen Futtertrögen. Die ominöse Mitte ist eine Art bürgerlicher Leumund, dem Hinz und Kunz nachjagen, sogar die AfD. Sie buhlt, wann immer möglich, um die Gunst der CDU.

Politische Anpassung, gern bis hin zur Aufgabe des eigenen Denkens, ist heute Programm: Um sich als Koalitionspartner zu qualifizieren, um nicht von den Leitmedien niedergeschrieben zu werden, um einen Posten in einem Ministerium zu ergattern oder selbigen nicht zu verlieren, zum Beispiel. Die daraus resultierende Tendenz einer politischen Gleichschaltung ist unübersehbar: Die Unterschiede zwischen allen relevanten Parteien werden immer marginaler.

Zuspitzung imperialistischer Widersprüche

Nun ist die bürgerliche Mitte zwar zunehmend gleichgeschaltet. Statisch ist sie aber keineswegs. Vielmehr folgt sie ideologisch der praktizierten Politik, und diese orientiert sich stets an den Interessen des Kapitals. Rutscht Letzteres in eine Krise, weil die Renditen sinken und die Konkurrenz zu mächtig wird, was derzeit zu beobachten ist, geht es den „kleinen Leuten“ verstärkt ans Leder: mehr Arbeitslose und Sozialabbau, mehr Überwachung und Repressionen. Und kriegerische Expansionsgelüste nehmen zu.

Entsprechend rabiater geht die Politik gegen die Interessen der Mehrheit vor. Sie wird also rechter und extremer. Trotzdem muss sie möglichst viele Leute bei der Stange halten, denn ohne eine gewisse Zustimmung aus der Bevölkerung geht es nicht. Das tut sie mit massiver Propaganda bis hin zu absurdesten Geschichten, aufgeblasen zu einer bürgerlichen „Mainstreamwahrheit“. Wer diese dann nicht glauben mag, dem drohen mediale Pranger und allerlei existenzielle Schikanen.

Massive Aufrüstung und Kriegstrommelei, zunehmende Repressionen gegen politische Widersacher und soziale Schweinereien gegen die Ärmsten: All das ist nicht nur rechts wie aus dem Lehrbuch, sondern Ausdruck der rechten Radikalisierung der sogenannten „Mitte-Parteien“ und ihres bürgerlichen Anhangs.

Die gern als Buhmann hingestellte AfD hat damit weniger zu tun als die kontinuierliche Zuspitzung der imperialistischen Widersprüche. Die „Politik der Mitte“ ist fest entschlossen, die Krise im Sinne des Großkapitals mit imperialistischen Mitteln zu lösen, letztendlich bis hin zum Krieg. Die AfD ist bestenfalls ein hilfreiches Symptom, das Widerstand dort kanalisiert, wo er den Herrschenden am wenigsten schadet.

Quelle: RT DE

Bedrohungslügner, Kriegsgurgeln und Hirn-Tot-Schläger

Die Angstmacherei vorm „russischen Angriffskrieg“ ist ein fieses Ablenkmanöver von den westeuropäischen Kriegsplänen gegen Russland

 Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Sigmar Gabriel, abgehalfterter Ex (-Vizekanzler, -Außenminister, -SPD-Vorsitzender), pisst von der Atlantik-Brücke (gegen den Wind): „Wäre ich Putin, würde ich schon 2028 kommen.“ [1] Zu unserem und der Russen Glück ist er es nicht, sondern bloß ein Sozi aus deren Stahlhelm-Fraktion. Erschwerend kommt hinzu: Er sitzt für fettes Honorar in den Aufsichtsräten kriegswichtiger Unternehmen, zum Beispiel der Deutschen Bank [2], der Siemens Energy Global [3], der thyssenkrupp Steel Europe [4] und der Daimler Truck Holding [5]. Kriegsängste schüren liegt in deren Geschäftsinteresse. Krieg ist ihr Ersatzbegriff für immensen Profit. Sozis von Gabriels Schlage haben das längst verinnerlicht.

Weder lernwillig noch lernfähig – schlicht empathielos. Dass bereits zwei deutsche Russland-Feldzüge in neuerer Zeit in Katastrophen mit Millionen Toten endeten, stört sie nicht. Im Ersten Weltkrieg bramarbasierten die Vertreter des Geldadels vom „unausweichlichen Kampf zwischen Germanentum und Slawentum“. [6] Bekanntlich stimmte die SPD damals den Kriegskrediten zu, mit denen das ersehnte Abschlachten finanziert wurde. 23 Jahre später machten die von den Konservativen an die Macht gehievten Nazis weiter. Mit der gleichen Propagandalüge, der „Gefahr aus dem Osten“:

„In diesem gemeinsamen Kampf um die gemeinsame Existenz müssen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft zurücktreten und muss die Pflicht lebendig werden, die gemeinsame Front zu bilden gegenüber dem roten Weltfeind“. (Das Nazi-Blatt Völkischer Beobachter am 16. Juni 1937. Quelle: „Die Bedrohungslüge“, G. Kade, 2. Auflage 1980, S.106).

Man ersetze „roter Weltfeind“ mit „Machthaber Putin“, schon ist man mittendrin in der Rhetorik unserer Gegenwart. Wir wollen keinen Zweifel lassen, wes Geistes Kind die Zeitgenossen sind, die den Schmarren „der Russe bedroht Europa“ neuerdings in Umlauf brachten – und welche bösen Hintergedanken sie dabei haben. Deshalb das Zitat eines der schlimmsten Demagogen der Zeitgeschichte:

„Es ist nunmehr notwendig, das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen und ihm langsam klarzumachen ist, dass es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen … dazu war es notwendig, nicht nur die Gewalt als solche zu propagieren, sondern dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Ereignisse so zu beleuchten, dass die innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien beginnt …“ (Adolf Hitler vor der deutschen Presse am 10. November 1938. Quelle: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 2/1958, S.182 ff)

Seit Jahrzehnten pinseln journalistische Agitatoren wie Udo Lielischkies, Sylvia Stöber, Ina Ruck, Sabine Adler, Golineh Atai, Thomas Roth und Demian van Osten das Feindbild Russland. Ihre Farbmischung: Unterstellungen, Lügengeschichten, (Heldenlegende Nawalny, Vergiftungssaga Skripal, Räuberpistole „Cyberattacken“). Die deutschen Systemmedien, angeführt vom „Flaggschiff“ ARD-Tagesschau, waren sich für keine Falschmünzerei zu schade.

Wir sind wieder so weit

Wenn irgendein unbedarftes Hornvieh blökt, der „autoritäre“ Putin werde demnächst Krieg gegen Westeuropa und speziell gegen Deutschland führen, dann sind allemal genug hirnrissige Journalisten zur Stelle, um das abzumelken und zu Nachrichtenkäse zu verarbeiten.

Diesen von logischen Denkprozessen und politischer Sachkenntnis weit entfernten beruflichen Ausfallerscheinungen ist es egal, welchen niederträchtigen Interessen sie dienen: der planvollen Umstellung auf Kriegswirtschaft und Kriegsfinanzierung, der Ablenkung vom „notwendigen“ Sozialabbau und damit der Profitgier der Rüstungswirtschaft und ihrer Aktionäre.

Das ganze Elend wird manchmal schlaglichtartig sichtbar. Die bayerische Gesundheitsministerin Gerlach forderte kürzlich ein bundesweites Programm zur medizinischen Versorgung im Kriegsfall. Hintergrund sei

„die militärische Bedrohung durch Russland und eine mögliche Abkehr der USA durch Donald Trump.“ [7]

Na bitte. Und niemand fragt zurück, wann die Frau selbst das letzte Mal beim Arzt war.

Dass deutsche Friedenspolitik erheblich preiswerter und sinnvoller sein könnte als der Bau von Lazaretten für Kriegsversehrte, kommt bei solchen Tönen niemandem mehr in den Sinn. Obwohl die gedanklichen Parallelen zur kriegsvorbereitenden AgitProp der Nazis kaum zu übersehen sind. Dass hierzulande schon viele neofaschistische Kulissen geschoben werden, stört die Journaille nicht. Sie schiebt selber mit.

Der erst wenige Monate alte Vorwurf, die Russen planten noch in diesem Jahrzehnt einen „Krieg gegen uns“, wurde planmäßig und skrupellos ins öffentliche Gedächtnis gedrückt. Das lässt sich vom ersten Auftauchen an nachvollziehen.

Als Russlands „militärische Sonderoperation“ gegen die Ukraine begann, war nirgendwo von einer russischen Kriegsdrohung gegenüber Resteuropa die Rede. Im Gegenteil, es herrschte eine eher abwartende und distanzierte Haltung vor, wie ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages widerspiegelt:

„…die wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Ziele Russlands sind … internationales Prestige und eine internationale Führungsrolle … der Status einer globalen Wirtschaftsmacht mit einem der höchsten Bruttoinlandsprodukte der Welt. Diese Ziele will Russland unter anderem durch Mitarbeit und Kooperation in internationalen Organisationen erreichen“. [8]

Auch die unsägliche frühere Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, SPD, sprach vor drei Jahren (mit Blick auf das damals gewünschte 100-Milliarden-Euro-„Sondervermögen“ zum Aufmotzen der Bundeswehr) noch nicht von der Gefahr eines russischen Angriffs, sondern betonte, dass die Schuldenmacherei nur der Verbesserung der deutschen Verteidigungsfähigkeit diene:

„Eine angemessene Ausstattung ist essenziell für unseren Schutz und den unserer Bündnispartner.“ [9]

Besen im Hosenanzug

Dass von russischen Kriegsdrohungen im Frühjahr 2023 noch keine Rede war und sie selbst nichts dergleichen wahrgenommen hatte, ließ auch EU-Präsidentin von der Leyen erkennen. Bis zum Kragen abgefüllt mit Russenhass, tönte sie:

„Diese Sanktionen, die treffen Präsident Putin ins Mark und nehmen ihm die Möglichkeit, diese brutalen Kriege, die er führt, weiterzufinanzieren.“ [10]

Vier Monate später zeigte sie noch deutlicher, wer da wem mit Drohungen statt Diplomatie begegnete: Sie sei fest davon überzeugt, dass man den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Mut und Solidarität zum Scheitern bringen werde und Europa am Ende die Oberhand gewinne.

„Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, dass die Sanktionen von Dauer sein werden … die schärfsten Sanktionen, die die Welt je gesehen hat. [11]

Vom Verdacht russischer Angriffspläne gegen das restliche Europa kein Wort. Prowestliche Siegesgewissheit erlaubte gar keine Aussage, Russland stelle eine Bedrohung dar. Überheblichkeit war vielmehr journalistischer Standard, sogar noch im Spätsommer vorigen Jahres:

„Während die Wirtschaft leidet, gehen Putin die Reserven und Soldaten aus. Der Kreml könnte gezwungen sein, im kommenden Jahr den Waffenstillstand zu suchen.“ [12]

Das war so realistisch wie die Behauptung, Schaukelpferdäpfel gäb’s auch beim Bio-Bauern. „Putin verliert“, wurde allen Ernstes behauptet – bis SPD-Minister Pistorius seinen inzwischen „historischen“ Furz im ZDF-Parfümladen „Berlin direkt“ fahren ließ. Ohne Vorwarnung, am 30. Oktober 23:

„Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“ [13]

Aus dem hohlen Bauch

Ein Tabubruch, keine Frage. Doch erwähnte Pistorius Russland mit keinem Wort – dafür war er zu schlau. Er „lieferte“ unausgesprochen; er konnte sich darauf verlassen, dass schon genügend Redaktionsbleistifte schnallten, was „dabei gedacht“ war, und dass sie prompt die Russen der Kriegsbrunst bezichtigen würden. Beweise hätte er ja nicht beibringen können. Er schwadronierte nur im Kontext dieser westlichen Geheimdienstspekulationen: Es könnte sein / es wäre denkbar / man könne nicht ausschließen – dass Russland über das für seinen Kampf gegen die Ukraine notwendige Maß hinaus aufrüste und eine spätere Konfrontation mit der NATO suche.

Nichts als Kaffeesatzleserei im Stil der Geheimdienste, zu deren Handwerk das Erfinden von Gefahren gehört. Sie wickeln ihre parlamentarischen Auftraggeber ein. Bitte anschnallen:

„Geheimdienste schulen Bundestagsabgeordnete. Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, Grünen und SPD … Als Gäste werden Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, und Sinan Selen, Vize-Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, erwartet. … ‚Wir sind in Deutschland seit Langem mit andauernden Angriffen konfrontiert‘, sagte Grünen-Fraktionsmanagerin Irene Mihalic.“ [14] 

Hochverehrte Volksvertreter! Es sollte Ihr Basiswissen sein, dass „Demokratie“ und „Geheimdienst“ sich im Prinzip gegenseitig ausschließen. Und dass es Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, die diversen deutschen Geheimpolizeien genauestens zu kontrollieren, wenn Sie schon meinen, nicht auf sie verzichten zu dürfen. Sich von diesen finsteren Brüdern schulen zu lassen, ist ein Offenbarungseid. Besagte Geheimdienst-Experten konnten ja nicht mal Bundeskanzlerin Merkels Diensttelefon vor den Spionen der Amis schützen. [15] Bis heute kriegen sie es nicht auf die Reihe, diese NSA- und CIA-Schnüffler abzuwehren …

Vom Frieden bedroht

Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, GDAP, machte im Sommer letzten Jahres den Zünder für die Entwicklung der Bedrohungslüge sichtbar. Den Grund dafür, Kriegsangst zu schüren und damit plötzlich irrsinnige Rüstungsanstrengungen durchsetzbar zu machen: der befürchtete Wahlsieg des US-Präsidenten Trump und dessen Ankündigung, den Ukraine-Krieg sofort beenden zu wollen.

Entspannung mit Moskau? Der Albtraum für deutsche Kriegsgewinnler. Er rief die akademischen Gesinnungsfreunde von der DGAP auf den Plan. Deren Empfehlung:  

„Im Fall eines Wahlsiegs von Trump sollten sie (die europäischen Regierungen) auf seinen transaktionalen Politikstil eingehen, aber deutlich machen, dass sie keine Verhandlungslösungen akzeptieren … Deutschland und die europäischen Regierungen müssen ihre Bemühungen zur Unterstützung der Ukraine verstärken, beschleunigen und verstetigen. … Zugleich ist es entscheidend, die europäische Bevölkerung weiterhin davon zu überzeugen, dass die langfristige Unterstützung einer freien und unabhängigen Ukraine im eigenen Interesse liegt.“ [16]

Dass die „langfristige Unterstützung“ darauf hinausläuft, den täglichen qualvollen Tod und die Verstümmelung Abertausender Mitmenschen zu finanzieren, kümmert GDAP-Schreibtischkrieger nicht. Aber auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer „Expertise“ – 18. Juni 2024 – war von russischer Angriffsgefahr für Westeuropa förmlich noch keine Rede. Im Gegenteil: Es galt das Wort des damaligen NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg:

„Wir stellen keine direkten Drohungen (aus Russland) gegenüber einem der Bündnismitglieder fest … Nach dem Ende der Feindseligkeiten (in der Ukraine) kann Russland seine Stärke wiederherstellen, aber das bedeutet nicht, dass wir einer direkten Bedrohung… ausgesetzt sind.“[17]

Der Zeitrahmen-Konstrukteur

Dem DGAP-„Experten“ Christian Mölling [18] blieb es vorbehalten, zu konkretisieren, was der „kriegstüchtig“-Pistorius gemeint haben könnte: Mölling nannte erstmals einen Zeitrahmen („sechs bis acht Jahre“) für den Beginn eines russischen Angriffskriegs und fantasierte die Notwendigkeit herbei, die Bevölkerung kriegsbereit zu machen. [19]

Mölling hatte sich nicht mal 2023 vom Milliarden-„Wumms“ für die Bundeswehr ruhigstellen lassen:

Das, was an „Kriegsniveau, Kriegsfähigkeit oder Verteidigungsfähigkeit“ notwendig sei, um Russland von einem Angriff abzuhalten oder im Angriffsfall bereits an der Nato-Grenze stoppen zu können, sei zurzeit nicht gegeben. Es fehle an Material, Soldaten und vielen Kleinigkeiten“. [20]

Der Mann weiß, dass er mit seinem Alarmismus Kohle machen kann, ob bei der staatlich finanzierten Stiftung für Wissenschaft und Politik [21], beim German Marshall Fund of the United States [22], bei der ebenfalls staatlich und überdies von der Rüstungsindustrie finanzierten [23] Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik oder neuerdings bei der Bertelsmann Stiftung. [24]

Auszug aus dem DGAP Policy Brief:

„Das Fenster zu einem möglichen russischen Angriff öffnet sich, sobald Russland den Eindruck hat, ein Angriff, etwa im Baltikum, könnte erfolgreich sein … Experten und Geheimdienste schätzen, dass Russland sechs bis zehn Jahre brauchen wird, um seine Armee so weit wiederaufzubauen, dass es einen Angriff auf die NATO wagen könnte.“[25]

Reine Behauptungen. Nicht auf Fakten gestützt, sondern auf „opportune Zeugen“ [26],  „Experten“ und „Erkenntnisse“ der Geheimdienste. Keine Analyse, sondern eine Berufung auf die Schwarmdummheit.

Angriff als beste Verteidigung

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, Kernstück des zensur-industriellen Komplexes, bot sich als der gegebene Tummelplatz für Hetzer und Kriegstreiber an. Ihr „Wir müssen kriegstüchtig werden, in ein paar Jahren kommt der Russe,“ wurde zum Ohrwurm. Der ranghöchste deutsche Soldat, Generalinspekteur Carsten Breuer, knapp 60 Jahre alt [27], wäre vor seiner Pensionierung wohl gerne wenigstens kurz noch mit von der Partie; er zog daher den Beginn für Iwans Angriff ein wenig vor. „Fünf bis acht Jahre“. [28] Und ließ keinen Zweifel dran aufkommen, dass er es krachen lassen möchte:  

„Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen, ist nicht mehr genug.“ [29]

Sondern? Selbst angreifen, um endlich nicht mehr nur über Verteidigungsbereitschaft quatschen zu dürfen? Jawoll, Herr General! Feuer!

Der Mann ist bloß fleischgewordener Zeitenwende-Geist. Kanzlerkandidat Friedrich Merz:

„Es ist nämlich ein Krieg gegen Europa und nicht nur ein Krieg gegen die territoriale Integrität der Ukraine“ … ein Krieg auch gegen unser Land, der täglich stattfindet: mit Angriffen auf unsere Datennetze, mit der Zerstörung von Versorgungsleitungen, mit Brandanschlägen, mit Auftragsmorden mitten in unserem Land, mit der Ausspähung von Kasernen, mit Desinformationskampagnen …“ [30] (s. dazu: David Goeßmann, „Was steckt hinter dem Vorwurf der hybriden Kriegsführung Russlands gegen Europa?“ [31])           

Erst im Oktober vorigen Jahres wollte Hassredner Merz Russlands Präsident Putin ein Ultimatum stellen:

„Wenn das nicht aufhört mit den Bombardements, dann ist der erste Schritt der: Reichweiten-Begrenzung (für ukrainische Raketenangriffe auf Russland) aufheben. Und der zweite Schritt der, dass wir die ›Taurus‹ (deutsche Rakete mit großer Reichsweite und Sprengkraft) liefern … Und dann hat Putin es in der Hand, wie weit er diesen Krieg noch weiter eskalieren will.“ [32]

Ob er auch noch als Bundeskanzler den Maulhelden spielt wird, müssen wir leider abwarten. Vielleicht ermannt sich jemand aus seiner Umgebung und macht ihn darauf aufmerksam, dass Putin eine Taurus-Lieferung an Kiew als deutsche Kriegserklärung wertet und „entsprechend“ reagieren will – völkerrechtlich absolut korrekt. Vielleicht erinnert sich Merz auch daran, erst kürzlich von einer russischen Haselnuss [33] gelesen zu haben, deren Wirksamkeit weltweit beeindruckt. Vielleicht.

Kriegsplaner

Russland droht der EU nicht mit Krieg. Das bestätigen zahlreiche hochrangige Experten, zum Beispiel US-Chefunterhändler Steve Wittkoff: „Ich habe das Gefühl, Putin will Frieden.“ [34] Der deutsche Ex-Generalinspekteur Harald Kujat hält Behauptungen von einem bevorstehenden russischen Angriffskrieg für „Unsinn“. [35] Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder: „absurd“. [36] Ex-Oberstleutnant Jochen Scholz: „Standardlüge“. [37] Ex-Oberst Wolfgang Richter:

„Wenn Russland tatsächlich das Mittel Krieg wahrnimmt zum Erreichen politischer Ziele, warum soll es bis 2029 warten?“ [38]

Tja. Warum? Weil Russland an einem Krieg gegen Rest-Europa gar kein Interesse hat. Der italienische Ex-Ministerpräsident Conte nennt deshalb das europäische Hochrüstungsprogramm „eine totale Geldverschwendung“. [39]

Deutschland und die EU haben für Russland keinen Reiz: gigantische Schuldenberge, schrottreif gesparte Infrastruktur, keine nennenswerten Ressourcen von irgendwas. Eine Region, deren politische Vorturner von ihrem wichtigsten „Verbündeten“, der US-Regierung, offen als antidemokratisch verachtet, als Schmarotzer bezeichnet und auf den Topf gesetzt werden. [40]

Gute Frage an uns alle:

„Wie weiter in einem Land, das dabei ist, zum Selbstbedienungsladen korrupter Regenten und Noch-nicht-Regenten zu verkommen? [41]

Unsere politischen, journalistischen, akademischen und militärischen Krawallbrüder und -schwestern sind nur Tonverstärker mit W-LAN zum Schattenreich der Geldelite. Der ist vollkommen gleichgültig, was aus den Westeuropäern wird. Sie ist sozial abgehoben, international abgesichert und rechtzeitig offshore [42], bevor es kracht. Es würde ihr Stellvertreterkrieg. Sein Ziel und zugleich angelsächsischer Wunschtraum: Deutschland zerstört und Kontinentaleuropas Wirtschaft für lange Zeit am Boden.

Nicht Russland droht mit Krieg gegen Westeuropa. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Deutsche und einige andere Westeuropäer wollen und planen Krieg gegen Russland.

Quellen:

[1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/illner-gabriel-trump-ukraine-europa-verteidigung-100.html
[2] https://investor-relations.db.com/corporate-governance/organizational-structure/supervisory-board?language_id=3&kid=ir-de-aufsichtsrat-htm.redirect-en.shortcut
[3] https://www.siemens-energy.com/de/de/home/company/supervisory-board.html
[4] https://www.thyssenkrupp-steel.com/de/newsroom/pressemitteilungen/neue-mitglieder-im-aufsichtsrat-der-thyssenkrupp-steel-europe-ag.html
[5] https://www.daimlertruck.com/newsroom/pressemitteilung/der-ceo-podcast-mit-sigmar-gabriel-was-bringt-2024-fuer-europa-und-die-welt-52563660
[6] https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-16439
[7] https://www.welt.de/politik/deutschland/article255716104/Krankenhaeuser-sollen-sich-auf-Kriegsfall-vorbereiten-sagt-Bayerns-Gesundheitsministerin.html
[8] https://www.bundestag.de/resource/blob/918488/30971c4459f7f97cf215b8a321dd5699/WD-2-071-22-pdf.pdf
[9] https://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/2022/20221012-918976
[10] https://germany.representation.ec.europa.eu/news/von-der-leyen-im-deutschlandfunk-sanktionen-treffen-putin-ins-mark-2022-03-07_de
[11] https://www.srf.ch/news/international/putins-spur-des-todes-von-der-leyen-eu-sanktionen-gegen-russland-werden-von-dauer-sein
[12] https://www.fuw.ch/russland-die-tage-der-russischen-kriegswirtschaft-sind-gezaehlt-924927782940
[13] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/boris-pistorius-krieg-europa-kommentar-100.html
[14] https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2025-03/64955863-geheimdienste-schulen-bundestagsabgeordnete-003.htm
[15] https://www.n-tv.de/politik/Deshalb-hoert-die-NSA-Bundeskanzlerin-Angela-Merkel-und-andere-Politiker-ab-article11621676.html
[16] https://dgap.org/de/forschung/publikationen/die-zukunft-der-us-ukrainehilfe-ist-ungewiss
[17] https://de.euromore.eu/stoltenberg-nato-ne-vidit-voennyh-ugroz-so-storony-rossii/
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Mölling
[19] https://www1.wdr.de/nachrichten/krieg-europa-pistorius-interview-moelling-100.html
[20] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/angriff-russland-putin-nato-verteidigung-100.html
[21] https://www.swp-berlin.org/die-swp/ueber-uns/grundlegendes/finanzierung
[22] https://www.gmfus.org/about
[23] https://lobbypedia.de/wiki/Deutsche_Gesellschaft_für_auswärtige_Politik
[24] https://www.politik-kommunikation.de/personalwechsel/moelling-wechselt-in-die-bertelsmann-stiftung/
[25] https://dgap.org/system/files/article_pdfs/DGAP%20Policy%20Brief%20Nr-32_November-2023_11S_2.pdf
[26] https://prezi.com/0vgko57bytuo/opportune-zeugen/
[27] https://de.wikipedia.org/wiki/Carsten_Breuer
[28] https://www.wsws.org/de/articles/2024/02/13/krie-f13.html
[29] https://www.bundeswehr.de/de/meldungen/generalinspekteur-zur-zukunft-der-bundeswehr-5661520
[30] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestag-zweidrittelmehrheit-fuer-schuldenpaket-von-union-und-spd-a-adf4947e-9284-4c32-8eeb-f347de411f09
[31] https://www.telepolis.de/features/Was-steckt-hinter-dem-Vorwurf-der-hybriden-Kriegfuehrung-Russlands-in-Europa-10329036.html
[32] https://jacobin.de/artikel/merz-bundeswehr-aufruestung-russland-cdu-militaer-nato.sondervermoegen
[33] https://de.wikipedia.org/wiki/Oreschnik_(Rakete)
[34] https://archive.ph/dw9EB
[35] https://www.noz.de/deutschland-welt/expertentalk/artikel/ukraine-krieg-expertenstreit-um-russlands-bedrohung-europas-48452892
[36] https://www.n-tv.de/politik/Schroeder-nennt-Bedrohung-durch-Russen-absurd-article24480672.html
[37] https://www.youtube.com/watch?v=K95jR2xHKVk
[38] https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Krieg-Abschreckung-und-Sicherheit-Welche-Gefahr-ist-Russland-fuer-Europa-10317383.html
[39] https://de.euronews.com/my-europe/2025/03/23/totale-geldverschwendung-italiens-ex-ministerprasident-conte-wettert-gegen-eu-aufrustungsp
[40] https://www.achgut.com/artikel/die_vollstaendige_muenchner_rede_von_jd_vance_auf_deutsch
[41] https://transition-news.org/das-andere-wort-zum-sonntag-oder-horen-statt-herrschen
[42] http://www.exploration-production-services.de/de/o-offshore.html

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert

Friedhelm Klinkhammer (li.) und Volker Bräutigam (re.) währender der Medienkonferenz der IALANA in Kassel. Foto: ©Claus Stille

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.