Ulrich Sander, VVN-BdA: Über das Mahnen und Gedenken am Beispiel Dortmund

Rede vor der Dortmunder Steinwache am 18. 10. 2025

Am 14.Oktober 1992 wurde hier an der Steinstraße 50 in Dortmund die „Steinwache“ als Mahn- und Gedenkstätte eröffnet. Sie befindet sich im alten Dortmunder Polizeigefängnis, in dem während des Nationalsozialismus mehr als 66.000 Menschen festgehalten und vielfach vor allem durch die Gestapo misshandelt wurden.  Nach der Haft wurden sie zu Tausenden auf den Leidensweg in die Konzentrationslager geschickt. 

Hier befand sich bis Mitte dieses Jahres die ständige Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933–1945“ des Stadtarchivs Dortmund. Sie wird nun umgearbeitet mit neuem Inhalt. Diese Ausstellung wurde ursprünglich von ehemaligen Widerstandskämpfern und Opfern des Faschismus geschaffen. Denn die Widerstandskämpfer und Verfolgten und unsere Stadt unternahmen wichtige Initiativen, um an Widerstand und Verfolgung sowie an Ursachen von Krieg und Faschismus zu erinnern. Schon bald sammelten sie die Exponate zusammen, die dann überarbeitet zur Ausstellung  „Widerstand und Verfolgung in Dortmund von 1933 bis 1945“ führten.  

Zur Vorgeschichte dieses Gebäudes ist zu sagen: Es entstand ab 1869, wuchs durch Erweiterungen bis 1928 heran zur heutigen Größe, die überhaupt nicht einer üblichen Wache nebst Arrestzellen gleicht. Hier ging es um Klassenkampf – die kämpferische Arbeiterklasse der Nordstadt sollte niedergehalten werden. Hier wurde 1920 ein Arbeiter erschossen, weil Abdrücke auf seiner Schulter darauf hindeuteten, dass er ein Gewehr getragen haben könnte. Hier provozierten Nazis die Arbeiter im Jahr 1932, indem sie mit einem Aufmarsch in das Viertel eindrangen, und es gab Tote und Verletzte infolge der Schüsse der Polizei. 

Es muss aber auch gesagt werden: Hier errang die LINKE in diesem Jahr bei den Kommunalwahlen mit 24 Prozent die meisten Stimmen und hat die Chance, den Bezirksbürgermeister zu stellen.

Die Steinwache nebst Gefängnis hat ab 1933 bald den Namen „Hölle von Westfalen“ bekommen. Sie war die meist berüchtigte Folterstätte der Region. Von hier und von einem Gebäude direkt gegenüber gingen Tausende Jüdinnen und Juden in die Ghettos und Vernichtungslager. Sozialdemokraten und Kommunisten wurden in die KZ, vor allem KZ Sachsenhausen und die Emslandlager geschickt, wo viele umgebracht wurden. Ebenso wie Sinti und Roma, Homosexuelle und Zeugen Jehovas. Junge Edelweißpiraten wurden hier eingesperrt und grausam misshandelt, so auch die jungen Menschen aus der Sozialistischen Arbeiterjugend und dem Kommunistischen Jugendverband. 

Heinz Junge, der hier in der Steinwache eingesperrt war und der später einen großen Anteil am Aufbau der Gedenkstätte hatte, schrieb darüber in seinem Buch „Ewig kanns nicht Winter sein“. Er und seine Genossen stellten den größten Anteil an politischen Gefangenen in diesem Gebäude. Nach 1945 haben 1.260 Kommunistinnen und Kommunisten aus Dortmund als Überlebende des Terrors Entschädigungsgeld beantragt, das geht aus den Akten der Behörde für Wiedergutmachung hervor.

In Dortmund ist manches falsch gemacht worden in der Gedenkarbeit – darüber spreche ich noch – aber auch vieles ist gelungen. So hat das Stadtarchiv einen enthüllenden Bericht veröffentlicht, der an die Verbrechen des Hitler-Förderers Albert Vögler erinnert. Dazu wurde ein Foto aus Fröndenberg gestellt, einen Gedenkstein darstellend. Darauf heißt es:

„Wir gedenken der jüdischen Bürger von Fröndenberg, die der nationalsozialistischen Gewalt zum Opfergefallen sind. Wir trauern um sie und die jüdischen Frauen und Männer, die als Zwangsarbeiter in Auschwitz im Arbeitskommando der Weichsel-Metall-Union (Besitzer: Albert Vögler) zu Grunde gingen. Wir ehren und beugen uns vor den vier jüdischen Frauen die in Auschwitz, im Kommando des Weichsel-Metall-Union Werkes am 5. Januar 1945 öffentlich am Appellplatz vor allen angetretenen Häftlingen erhängt wurden: Regina Saphirstein, Alla Gartner, Ester Wiessblum, Rosa Robota. Für uns sind diese vier Frauen die Helden des jüdischen Widerstandes.“ Die genannte Fa. gehörte Vögler. Es wurden dort Waffen produziert, die von den vier Frauen den Kämpfern des Aufstandes der Häftlinge vom Oktober 1945 gegeben wurden.

Wir Antifaschisten von Dortmund arbeiteten mit bei der Legung von Stolpersteinen, bei dem Gedenken an die Kriegsendphasen-Opfer des Rombergparks und der Bittermark vom Frühjahr 1945 sowie vor allem an solchen Beiträgen zur Erinnerungsarbeit wie:

# Die Aktion Villa Springorum und Ruhrlade. Die Ruhrlade tagte hier in Dortmund in Fortsetzung des Treffens von Hitler mit Papen und der Wirtschaft vom 4. Januar 1933 in Köln. Die VVN/BdA wünscht sich am Standort der Villa des Hoesch-Industriellen Springorum, Treffpunkt des industrieellen Geheimbundes Ruhrlade,an der Hainallee, eine dauerhafte Mahntafel. Dies wird von der Stadt abgelehnt. 

Mit Mahnwachen an jener Stelle erinnert die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – BdA regelmäßig am 7. Januar an die Tagung der Ruhrlade. Diese Tagung diente der Machtübertragung an Adolf Hitler, die vor 90 Jahren erfolgte. Dort erfolgte die Auswertung des Treffens von Hitler, von Papen und der Wirtschaft am 4. Januar 1933 in Köln im Haus des Bankiers von Schröder. Die Interessenvereinigung von Ruhrindustriellen traf zusammen mit dem ehemaligen Reichskanzler Franz von Papen, um über Beseitigung der Weimarer Republik durch Machtübertragung an Hitler und die NSDAP zu beraten. 

An das Treffen vom 7. Januar in Dortmund wird in Dortmund amtlich nicht erinnert, als hätte es es nicht gegeben. Über den Teilnehmer der Treffen in Köln und Dortmund, von Papen (Zentrumspartei), wird in einem Katalog der bisherigen Ausstellung ausgesagt: Er wurde Ende Januar 1933 „vom Reichpräsidenten Hindenburg mit der Regierungsbildung beauftragt“  – nicht etwa Adolf Hitler, wie es jedem Geschichtsbuch zu entnehmen ist. Papen wurde am 30. Januar 1933 neben Hitler Vizekanzler.

 # Ferner ging es uns um die Erforschung der Lage der Zwangsarbeiter in Dortmund und die erfolgreiche Schaffung des Mahnmals am Phönix-See. Rund 80.000 Zwangsarbeiter/innen schufteten in all den Jahren in Dortmund; viele zusammengepfercht im „Stalag VI D“ auf dem Gelände der Westfalenhallen, wo zeitweise bis zu 10.000 Menschen gleichzeitig lebten, schlecht ernährt, der Willkür ausgesetzt. Über ein Viertel davon hatte für den Hörder Bergwerks- und Hütten-Verein (DHHV, Chef Albert Vögler, arbeiten müssen. 

 # Sodann unser Protest gegen die Ehrung des Emil Kirdorf in Eving. Der führte zu einem Teilerfolg. Eine Stele mit aufklärendem Text zu Kirdorf, dem frühen Förderer Hitlers, wurde geschaffen.

Aber gleichzeitig wurde der gleiche aufklärende Text aus der Steinwache entfernt. Dies geschah im Zusammenhang mit der Beseitigung der Aussagen des Raums 7 in der Steinwache „Die Schwerindustrie setzt auf Hitler“.  Das Kapitel zur Schuld der Schwerindustrie entspreche nicht mehr der Wahrheit, so hieß es. Die Konzerne der Schwerindustrie aus dem Ruhrrevier gehören allerdings zu den Unterzeichnern einer Erklärung von 49 Konzernleitungen zum 80. Jahrestag des 8. Mai 1945 über die Schuld der Wirtschaft am Naziregime. 

Ein spätes Geständnis der Industrie, das jene Veröffentlichungen bestätigt, die wir in unserer großen Aktion „Von Arisierung bis Zwangsarbeit – Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“ vorlegten. 

Die Fakten und dann auch das Geständnis nahm die VVN-BdA zum Anlass, eine neue Forderung zur Entschädigung zu stellen. „Die Erben der braunen Erben enterben“, so heißt die Aktion. Die VVN-BdA erklärte: „Die Schuldigen aus den Kreisen der ökonomischen Eliten blieben weitgehend unbestraft, jedoch ihr Wirtschaftssystem gehörte zu den Wurzeln des Faschismus. Den Hinterbliebenen der Räuber darf die Beute nicht länger gehören.“ Es gibt in Deutschland derzeit 132 Milliardäre, von denen 71 Prozent deshalb so reich sind, weil sie Milliardenvermögen aus der Zeit vor 1945 mit Sklavenarbeit und Kriegsgewinn geerbt haben. Weltweit hat nur jeder Dritte Milliardär die Milliarden geerbt.  Es besteht also Handlungsbedarf.

Die Erforschung von Ursachen und Herkunft des Faschismus sind notwendige Bestandteile jeder Erinnerungsarbeit.  Damit der Faschismus in Deutschland die Macht erhalten und diese im Laufe des Jahres 1933/34 festigen konnte, brauchte es Steigbügelhalter von oben, die bereit und in der Lage waren, die Nazis mit finanziellen Mitteln auszustatten und in jene machtvollen Positionen zu hieven, die sie zur Durchsetzung ihres Herrschaftsanspruchs benötigten. 

Wir dürfen nicht aufhören, diese Steigbügelhalter zu entlarven – denn sie sind wieder am Werk. Und sie hatten und haben eine rechte Massenbewegung, die der Menschenverachtung der Nazis zustimmt und sich von ihrer Herrschaft eigene Vorteile verspricht. Und es gehört dazu die Gewalt und der Terror gegen politische Gegner/innen, um den organisierten Widerstand zu brechen und jede Opposition unmöglich zu machen. Auch solche Massenbewegungen entwickeln sich wieder in unserem Land, man beachte die Wahlergebnisse der AfD. Einer AfD, die  mit neonazistischen Schlägertrupps zusammenarbeitet, diese wiederum waren verbunden mit dem mörderischen NSU. 

In den RuhrNachrichten vom 8. Oktober 2025 wird eine ganze Seite der Unterstützung der neuen AfD-Jugendvereinigung gewidmet und die geplante Führung dieser Organisation angepriesen, obwohl diese aus neonazistischen Netzwerken kommt. Eine weitere Seite derselben RN-Ausgabe befürwortet die Zusaamenarbeit der AfD mit den Parteien im Dortmunder Stadtrat. 

Dass die AfD im NRW-Kommunalwahlkampf die Ausweisung von Millionen Mitbürgern per „Remigration“ verlangte, wird in den Medien von Lensing (Dortmund) wie Funke (Essen) verschwiegen. In der CDU wächst der Kreis jener, die gemeinsam mit der AfD Parlamentsbeschlüsse fassen.

Wir starten hier heute zu einer neuen Erinnerungsfahrt durch unser Bundesland. Wir starten an einer Stelle, die bisher den Namen „Mahn- und Gedenkstätte“ trug. Darum geht es: Sowohl gedenken, aber auch mahnen, die Wahrheit an den Tag bringen. Das bedeutet das Warnen vor neuem Unheil. Nie wieder!

Hinweis meinerseits: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen. (Claus Stille)

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