„Der Westen im Niedergang“ von Emmanuel Todd. Rezension

Erschreckend für Menschen, welche mit offenen Augen und Ohren sowie eingeschaltetem und genutztem Verstand durch unsere Zeit gehen, ist, dass immer noch viel zu viele Menschen an die Strahlkraft und die Vorzüge des Westens glauben. Das Schlimme daran: Vielfach journalistisch auf den Hund gekommene Mainstream-Medien bestärken diese Leute noch täglich in ihrem Irrtum. Dabei müssten die doch gerade kritisch gegenüber den charakterlich und fachlich wenig bis nicht für Führungsaufgaben geeignetem politischen Regierungspersonal anschreiben und ansenden! Das tun sie aber nicht. So verbreiten diese Medien – wie schon in der Corona-Zeit nahezu durch die Bank fragwürdige Regierungsnarrative. So auch wieder bezüglich des Ukraine-Kriegs. Statt diplomatische Lösungen zu bedenken und einzufordern gehen sie in puncto Kriegstreiberei oft noch einen Tacken weiter als jene Politiker, welche das tun!

Um mit Karl Marx darob Tacheles zu reden, entfährt es mir:

«In seinem Sessel, behaglich dumm,
Sizt schweigend das deutsche Publikum.
Braust der Sturm herüber, hinüber,
Wölkt sich der Himmel düster und trüber,
Zischen die Blitze schlängelnd hin,
Das rührt es nicht in seinem Sinn.« […] Quelle: Karl Marx

Um ein Beispiel anzuführen für Menschen, welche mit offenen Augen und Ohren sowie eingeschaltetem und benutztem Verstand durch unsere Zeit gehen, sei hier stellvertretend der Journalist Dirk Pohlmann genannt. In der Sendung „Das 3. Jahrtausend“ und anderswo kam er immer wieder zu dem Schluss: „Der Westen hat fertig.“ (dazu z.B. hier)

Welche Werte vertritt er noch, der Westen? Zwar trägt er viele der einst postulierten Werte nicht selten und dann auch noch vehement wie eine Monstranz vor sich her. Jedoch misst er mit zweierlei Maß – bestimmt wer gut und wer böse ist. Der große Peter Scholl-Latour hatte das schon oft beklagt. Der Westen holt aber offenbar nicht durch, dass immer mehr Länder des globalen Südens bemerken und sich abwenden.

Emmanuell Todd sagte schon den Untergang des Sowjetsystems voraus

Der französische Historiker und Soziologe Emmanuel Todd, der bereits 1976 den baldigen Untergang der Sowjetunion vorhersagte, sollte viele Jahre später – zunächst hatte man ihn nicht sonderlich ernst genommen – in seiner Vorhersage bestätigt werden.

Todd hatte aus seiner damaligen akribischen Analyse („Vor dem Sturz. Das Ende der Sowjetherrschaft“) geschlossen:

«Der sowjetische Machtbereich wird an seinen inneren Spannungen zerfallen. Zu tief sind die Widersprüche im Herrschaftsgebiet des Kreml, als daß sie auf dem Weg der Reform gelöst werden könnten. Mit dieser Prognose, abgeleitet aus einer eingehenden Untersuchung der politischen und sozialen Entwicklung in der UdSSR und den Volksdemokratien, greift der französische Historiker Emmanuel Todd in die Debatte um die Zukunft des Sowjetregimes ein, die durch das Erstarken der Bürgerrechtsbewegung in Osteuropa von neuem an Aktualität gewonnen hat.« Quelle: Amazon.de

Nun Todds neues Buch: „Der Niedergang des Westens“

Nun – manche unter den Nichtsnutzen bzw. Schadenden in der herrschenden Politik und den Schreibtischhelden eines schwer erkrankten Journalismus dürften unterdessen wütend, ungläubig und kopfschüttelnd auf das neue Buch von Emmanuel Todd reagieren. Nichts weniger sieht er nämlich in seinem neuen Buch „La Défaite de l’Occident“ als den bevorstehenden Niedergang des Westens. Der deutsche, bei Westend erschienene Titel seines Buches, lautet: „Der Westen im Niedergang“.

Todd sieht den Krieg für die Ukraine – wie übrigens andere klardenkende Analysten, Politiker und Militärs auch – und die NATO als verloren an. Todd denkt sogar noch über dessen Ende weit hinaus. Er kann sich gar eine Aussöhnung Russlands mit der EU und eine Wiederaufbau einer Zusammenarbeit an Deutschland vorstellen.

Wir wissen allerdings, dass gerade das die USA seit gut hundert Jahren immer verhindern wollten und auch taten. George Friedman von STRATFOR hat das 2015 in Chicago deutlich und offen ausgesprochen (hier). Diese Zusammenarbeit Deutschlands (Know-how) und Russlands (Energie, Bodenschätze) zu beider Nutzen hätte den USA Machtverlust gekostet und Einfluss auf Europa entzogen. Emmanuel Todd sagt Washington nach, die „würden also lieber Europa zerstören, als den Westen zu retten”.

Todd arbeitet sehr genau die Ursachen für den Niedergang des Westens – nicht zuletzt am Beispiel USA – heraus. Hierfür hat er sich auch sehr intensiv mit soziologischen Aspekten befasst. Probleme in Sachen Gesundheit und Alter. Das Zerbröseln des Protestantismus und den Wegfall der damit verbundenen und einst hochgehaltenen Werte hält er für eine wichtigen Ursache für das Absandeln des Westens auf vielen Gebieten.

Die USA betrachtet er als „im Nihilismus“ versunken und als globale Supermacht samt seiner Kriegsindustrie in einer zunehmenden Schwächung begriffen.

Die einst hochgehaltene und gepflegte deutsch-französische Partnerschaft befinde sich in beklagenswertem Zustand. Der Motor stottert nicht mehr nur – er stocke geradezu. Was den Verlust des Einflusses der EU im Allgemeinen bedeute.

Als Reaktion auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die EU unzählige Sanktionen gegenüber Moskau verhängt. Aber gleichzeitig den eigenen Handels- und Energieinteressen geschadet. Besonders stark hat sich Deutschland ins eigene Bein geschossen. Dabei wirken die Sanktionen im Wesentlichen nicht. Russland müsse sogar danke dafür sagen, schreibt Todd. Nach anfänglichen Problemen habe man sich nämlich arrangiert und Lösungen gefunden, um die westlichen Ausfälle zu kompensieren.

Todd registriert, wir lebten heute in einer „putinophoben und russophoben Welt”, die vom westlichen Narrativ durchdrungen ist.

Und er geht darauf ein, dass der Hass gegen Russland wahrlich nichts Neues ist, sondern nur in aufgewärmter Form abermals unter die Leute gebracht wird.

Man mag Todd im Westen noch so an den Karren fahren und ihn als Putinfreund bezeichnen. Er ist gewiss kein Freund des russischen autokratischen demokratischen Systems. Todd verteidigt den Pluralismus. Und er möchte, dass der Wert verschiedener Perspektiven anerkannt wird.

Aber selbstredend spricht er sich gleichzeitig auch für eine friedliche Koexistenz mit Russland aus. Und ist dafür, dass die russischen Wünsche in puncto der eigener Sicherheit seitens des Westens Berücksichtigung finden. Was ja Präsident Putin mehr als einmal angemahnt hatte. Dass sich Russland über die Ukraine hinaus nach Westeuropa ausbreitet, hält Todd für absurde Vorwürfe des Westens. Allein die Mittel dafür hätte Moskau gar nicht.

Lage und Aussichten für sein Heimatland Frankreich sieht Todd in düsterem Licht. Für ihn „existiert Frankreich gar nicht mehr, weil es mit den Vereinigten Staaten verbündet ist und von der NATO kontrolliert wird”.

Der Historiker Todd könnte sich wohl mit jemanden wie Charles de Gaulle als Premier anfreunden, der zur NATO Distanz wahrte, sie sogar einmal aus dem Land geworfen hatte und die militärische Zusammenarbeit suspendierte. Aber den haben wir nicht (mehr) und kriegen so einen wohl auch so schnell nicht wieder herein.

Das Problem der EU insgesamt sei, dass die jeweils eigenen Interessen nicht genügend gewahrt und vertreten werden. Solange die Europäer es zulassen als Vasallen Washingtons missbraucht zu werden, kann es nicht besser werden.

Der 2. Weltkrieg liegt lange zurück. Und der dritte hat entweder schon begonnen oder beginnt in Kürze. Die EU – besonders Deutschland – ist noch immer mehr oder weniger unter die US-Knute.

Ich stimme Todd zu, wenn er es für das Beste hält, wenn die USA sich aus Europa zurückzögen. Ich füge hinzu: Und wenn die USA, das strauchelnde Imperium auf tönernen Füßen, ein normales Mitglied der Völkergemeinschaft würden. So geschwächt die USA auch sein mögen, was sie so gefährlich wie ein verletztes Raubtier macht, ist dass riesige Militärpotential mit seinen über achthundert über die Welt verteilten Militärstützpunkten. Ob der Rückzug Washingtons ohne Krieg abginge?

„Was würde dann mit uns geschehen?”, fragt sich Todd, wenn dieser Rückzug geschähe. Todd meint, wir erlebten dann einen Frieden, der in einem vom US-Joch befreiten europäischen Raum wachsen und hoffentlich Bestand hätte.

Was wird dann mit den ganzen Einflüsterern und Propagandisten, die die westlichen Narrative samt der Forderung Russland zu vernichten oder zu zerteilen, die in ihrem Wahn offenbar gar nicht mitbekommen, dass der Westen seinem Niedergang Tag für Tag immer rascher näher kommt? Sie werden womöglich Hilfe von Psychologen und Psychiatern benötigen, denke ich.

Todds Buch bestätigt und bekräftigt auf seine Weise Dirk Pohlmanns Erkenntnis: Der Westen hat fertig. Er kann weg.

Was aber kommt dann? Es wird sich weisen.


Der Westend Verlag zum Buch

«Der prominente französische Historiker Emmanuel Todd sagte bereits 1976 das Ende der Sowjetunion voraus. In seinem neuen Buch wagt er wieder den Blick in die Zukunft: Er prognostiziert den endgültigen Niedergang der westlichen Welt. Im Kern verrottet, aber nach außen expandierend steht der Westen einem Russland gegenüber, das sich stabilisiert hat und nunmehr konservativ auf die Länder der restlichen Welt wirkt, die den USA und ihren Verbündeten nicht in ihre Kriege folgen wollen. Deren Niederlage in der Ukraine ist bereits nahezu Fakt, sagt Todd. Schlussendlich ist es deshalb unvermeidlich, dass es zu einem Einfrieren des Konfliktes zwischen der Europäischen Union und Russland kommt. Ein Europa befreit von US-amerikanischem Einfluss könnte das Ergebnis sein. Deutschland kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, und diese Rolle sollte es selbstbewusst einnehmen – das ist Todds Appell in diesem Buch.
Exklusiv: Mit neuem Vor- und Nachwort des Autors speziell für die deutsche Ausgabe!

Emmanuel Todd

Der Westen im Niedergang

Erscheinungstermin

13.10.2024

Einbandart

gebunden

Seitenanzahl

352

ISBN

9783864894695

Preis inkl. MwSt.

28,00 €

Anbei ein Interview mit  Emmanuel Todd, welches Flavio von Witzleben mit ihm geführt hat:

 

2 Kommentare zu “„Der Westen im Niedergang“ von Emmanuel Todd. Rezension

  1. Pingback: „Hegemonie oder Untergang. Die letzte Krise des Westens?“ Von Rainer Mausfeld – Rezension | clausstille56

  2. „Der Westen“ steht als Synonym für den Kapitalismius. Wenn also vom Niedergang des Westens die Rede ist, geht es um den Niedergang des Kapitalismus. Das können oder wollen bürgerliche Intellektuelle aber nicht realisieren, denn dann müssten sie sich, um zu einer vernünftigen Prognose zu kommen, vom Antikommunismus lösen. Das ist aber unmöglich, wie man am Autor dieses Buches wieder sehr schön erkennen kann.

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