Michael von der Schulenburg: Nur Friedensverhandlungen können die Ukraine noch retten. Der Ukrainekrieg darf nicht in ein drittes Jahr gehen

Dies ist ein Aufruf von Michael von der Schulenburg[*], ehemaliger Assistant Secretary-General der Vereinten Nationen zum Jahrestag der russischen Invasion in die Ukraine. 

Am 24. Februar jährt sich die Invasion russischer Truppen in die Ukraine zum zweiten Mal und damit der Ausbruch des größten, brutalsten und gefährlichsten Krieges auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Krieg hat bisher auf beiden Seiten mehrere hunderttausende Tote sowie schwerst-verwundete und seelisch verkrüppelte meist sehr junger Menschen gefordert. Dieser enorme Blutzoll hat uns einer Lösung des Konfliktes keinen Schritt nähergebracht – im Gegenteil, eine friedliche Lösung wird täglich schwieriger. Wie lange soll das Töten weitergehen, bis wir endlich Empathie mit dem Leiden des ukrainischen Volkes fühlen und die Vernunft dem Leiden ein Ende setzt?

Der russische Angriff ist illegal, und niemand darf das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung in Zweifel ziehen. Aber dieses Recht darf nicht in der Zerstörung des ganzen Landes ausarten. Und es sind nicht nur russische Waffen, sondern auch die von NATO-Ländern gelieferten Waffen, die auf ukrainischem Territorium eingesetzt werden. Sie sind also gleichermaßen für das Leiden und die sukzessiven Zerstörungen des Landes verantwortlich. Das kann und darf nicht Ziel unserer Politik sein, es würde uns eine schwere Schuld aufbürden.

Für die Ukraine hat sich die militärische Lage zunehmend besorgniserregend entwickelt und es besteht kaum noch eine realistische Chance, dass die Ukraine den Krieg gewinnen könnte. Erschwerend für die Ukraine findet eine Entvölkerung des Landes mit gleichzeitiger Veralterung und Verarmung der dort verbleibenden Menschen statt. Zusätzlich wird das Land durch Korruption, zunehmende interkommunale Differenzen und innenpolitische Konflikte geschwächt, während die militärischen und finanziellen Unterstützungen der NATO-Länder drastisch abnehmen.

Kriege fordern in den Abnutzungs- und Endphasen die meisten Opfer. Dass es dazu kommt, dürfen wir nicht zulassen. Die Fortsetzung des Krieges wäre unverantwortlich, denn sie würde die Ukraine zerstören und ihren Bürgern eine lebenswerte Zukunft nehmen.

Auch für die Menschen in der Europäischen Union und insbesondere in Deutschland würde eine Weiterführung des Krieges zu immer größeren negativen Konsequenzen führen. Der Niedergang des europäischen Wirtschaftsstandortes mit der Folge einer hohen Schuldenlast für die folgenden Generationen, der zunehmenden Unfähigkeit der Regierungen, ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden und das Notwendige in eine lebenswerte Zukunft der Menschen zu investieren, wird soziale Ungerechtigkeiten sowie innerstaatliche Gegensätze und politische Spannungen verschärfen. Wir würden die Risiken für unsere offene, pluralistische Gesellschaft ebenso wie für die demokratische Ordnung erhöhen. Mit einer Fortsetzung oder gar einer Ausweitung und Eskalation des Krieges setzen wir die Menschen in Europa zunehmend der Gefahr eines unkontrollierbaren, vielleicht sogar nuklearen Krieges aus.

Die Ukraine braucht Frieden – Europa braucht Frieden, und dieser Frieden kann nur durch einen Waffenstillstand mit darauffolgenden Friedensverhandlungen erreicht werden. Diesen Krieg auf europäischem Boden zu beenden, ist unsere europäische Verantwortung. Er darf nicht in ein weiteres Jahr gehen und zu noch mehr sinnlosen Opfern führen. Deshalb erinnere ich die Bundesregierung an die ihr von der Verfassung auferlegte Verpflichtung, dem Frieden der Welt zu dienen und fordere sie daher mit allem Nachdruck auf, gemeinsam mit unseren europäischen Verbündeten und Partnern und der ukrainischen Regierung alles zu unternehmen, um einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme von Friedensverhandlungen zu erreichen.


[«*] Kandidat für das Bündnis Sahra Wagenknecht bei den Europawahlen

Quelle: NachDenkSeiten Albrecht Müller.

Beitragsbild: Claus Stille; FLYING COLUMN des Dortmunder Künstlers Leo Lebendig.

Russland hat die beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk anerkannt. Dazu zwei Stellungnahmen

Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, hat die zwei selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk anerkannt. Der Westen tobt. Neue Sanktionen sind angedacht.

Wie weiter?

Willi van Ooyen (Politiker DIE LINKE, langjähriger Friedensaktivist) und Reiner Braun (Journalist, Friedensaktivist, Co-Präsident des Internationl Peace Bureau fordern:

Zurück zu Diplomatie und Verhandlungen

Aus Anlass der Anerkennung der „Volksrepubliken Donezk und Lugansk“

Reiner Braun

Reiner Braun. Foto: Claus Stille

erklären sie:

Einseitige eskalierende Schritte – so verständlich sie auch angesichts
des NATO- Aufmarsches und der NATO Osterweiterung sein mögen, führen
nicht zu einer Deeskalation und ermöglichen kaum Verhandlungen und
größeren Spielraum für Diplomatie.

Notwendig ist politische, mediale, öffentliche und praktische
Deeskalation und Demilitarisierung. Nur mit Zonen des Friedens und ein
zurück zu Minsk 2 kann die friedensgefährdende Krisensituation
überwunden werden. Berechtigte Kritik an der NATO-Politik, an der realen
Ablehnung von Minsk2. an verbalen Attacken aus EU und USA bedarf
verantwortungsvollen friedenspolitischen Reaktionen aus der Politik, aus
den Parlamenten und der Öffentlichkeit. Deeskalation praktischer aber
auch verbaler Art und politische Maßnahmen sind gefordert.

Nur eine Politik, die die Sicherheitsinteressen der anderen Seite
genauso berücksichtigt wie die eigenen kann Frieden, Abrüstung und
Entspannung erreicht werden. Die Anerkennung der Republiken eskaliert
den Konflikt. Stattdessen erscheint uns ein politisches Spitzentreffen
aller  OSZE-Staaten sinnvoll.“
Berlin, den 21.02.2022

Quelle: Attac/Reiner Braun

Albrecht Müller, Herausgeber der NachDenkSeiten überschreibt seinen Beitrag heute so:

Ratlos

Die Entscheidung Putins in Bezug auf die beiden Republiken in der Ostukraine, die militärische Intervention, die voll auf

20180127_165757

Albrecht Müller, Herausgeber der NachDenkSeiten. Foto: C.-D. Stille

Kalten Krieg umschaltende Diskussion im Westen, die dabei sichtbar werdende Militanz und Aggressivität gegen die Wenigen, die wie zum Beispiel Sahra Wagenknecht gegen den Mainstream aufmucken, der erkennbare Abschied von der Idee einer gemeinsamen Sicherheit in Europa und die immer wieder durchschimmernde Bereitschaft, Krieg als möglich zu denken, die Bereitschaft, harte Sanktionen zu erlassen, die vor allem die normalen Menschen dort im Osten wie auch bei uns mit teuren Heizkosten treffen kann – das alles lässt einen ratlos zurück. Das muss ich zugeben. Trotzdem mit dem Versuch der Verständigung und Versöhnung auch mit Russland weitermachen? Trotzdem jedenfalls auf lange Sicht darüber nachdenken und planen, dass wir alle in der Welt guter Nachbarschaft besser leben als in einer Welt der Feindseligkeiten?

Zwischendurch hier der Link auf die Rede Putins.

Ist es ausgeschlossen, dass in der westlichen Politik und in den westlichen Medien mal wieder Menschen nach oben kommen, deren Weltbild nicht geprägt ist von der Vorstellung, zu den Guten zu gehören und deshalb mit missionarischem Eifer andere zu verfolgen? Ist es ausgeschlossen, dass sich der Gedanke von Verständigung und Freundschaft wieder durchsetzt? Ich klammere mich an zwei Ereignisse und Erfahrungen in meinem langen Leben:“ (…)

Weiterlesen hier

Quelle: NachDenkSeiten

Beitragsbild: „Flying Column“ mit der Inschrift „Friede“, Kunstwerk des Dortmunder Künstlers Leo Lebendig. Foto: C. Stille